Carlo Chiavistrelli über den wirtschaftlichen Einbruch in der Baubranche und über Chancen in der Region.
Wenn man nur lange genug an eine Krise glaubt, kommt sie auch. Trifft das für die Baubranche zu? Oder ist hier ein Einbruch angesichts der vielen negativen Faktoren, die es nun einmal gibt, unausweichlich? Die Antwort liegt vielleicht irgendwo dazwischen.
Als ich Carlo Chiavistrelli von den Hanel Ingenieuren in seinem Büro in St. Johann besuche, stellt er mir sein Team vor. Beim Vorübergehen fragt er eine Mitarbeiterin: „Und, wie schaut es aus für 2024? Haben wir leere Auftragsbücher?“ Die Angesprochene ist irritiert. „Nein, eher im Gegenteil!“, sagt sie.
Von schlechter Stimmung oder gar Angst vor einem massiven Einbruch des Auftragsvolumens ist bei Hanel Gott sei Dank noch nichts zu spüren. „Die Tendenz geht eher dahin, dass sich eine Art Normalisierung einstellt“, so der Firmenchef. Nach einer langen Phase des starken Wachstums sehe sich die Branche im Allgemeinen nun aber mit einem spürbaren Rückgang der Aufträge konfrontiert. „Solche Zyklen gibt es immer wieder, wir haben das – bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung – schon erwartet“, erklärt er.
Wenn die Tiroler Baufirmen weniger verdienen, wirkt sich das nicht nur negativ auf Wertschöpfung, Einkommen und Beschäftigung aus, sondern auch die öffentliche Hand und Sozialversicherungsträger verzeichnen ein Minus, weil weniger Steuern und Abgaben gezahlt werden. Wenn es der Baubranche schlechter geht, betrifft uns das also alle. Vielleicht doch ein Grund zur Panik?
Dass der Rückgang die Region in ernsthafte Schwierigkeiten bringen wird, daran glaubt Carlo Chiavistrelli nicht. Gerade am Vortag unseres Gesprächs habe ein gemeinnütziger Wohnbauträger das „Go“ für ein Projekt gegeben, das zuvor zwei Jahre lang nicht in Angriff genommen worden war. Es ist also nicht so, dass gar nicht mehr gebaut wird.
Nicht unproblematisch sieht er die aggressive Art und Weise, wie man im Bezirk den Besitzer:innen von Zweitwohnsitzen entgegentritt. „Viele haben inzwischen wieder verkauft, weil sie sich nicht wohlfühlen. Bei aller Kontroversität, die das Thema mit sich bringt: Diese Leute haben in den letzten Jahrzehnten viel Wohlstand in die Region gebracht. Firmen, die einen Fokus auf diese Zielgruppe gelegt haben, werden die Auswirkungen spüren.“
Mehr Fairness
Der Bauingenieur hat das Gefühl, dass es auf den Baustellen bald wieder „normaler“ zugehen könnte. „Die Überbeauftragung bricht wahrscheinlich weg.“ Unter Umständen, so Carlo Chiavistrelli, werde man in Zukunft weniger Leiharbeiter benötigen. Das könne zu einer Qualitätsanhebung führen. Er sieht auch die Möglichkeit, dass Firmen untereinander wieder ein faireres Miteinander leben: „Wenn man als Planer für seinen Bauherren in den letzten Jahren eine Ausschreibung machte, waren kaum Firmen zu bekommen. Die Situation entspannt sich hier wahrscheinlich, man kann wieder mehr Anbieter ins Boot holen und fair unter ihnen wählen.“ Ob das jetzt schon für den Bezirk zutreffe, sei aber fraglich, hier sei die Auslastung auch für 2024 in vielen Unternehmen noch sehr gut. Hanel Ingenieure sei auch über die Bezirksgrenzen hinaus und international tätig, hier werde die Veränderung wohl schneller spürbar.
Dass die Preise beim Bauen wieder sinken, glaubt der Statiker nicht. „In den letzten Jahrzehnten haben wir davon profitiert, dass vieles in Billigländern produziert wurde. Zum Teil unterbrochene Lieferketten, der Fokus auf mehr Regionalität, die CO2-Bepreisung und anstehende Lohnerhöhungen sind Faktoren, die die Preise weiter steigen lassen. Wenn die Leute darauf warten, dass alles billiger wird, weil die Firmen weniger Arbeit haben und Aufträge brauchen, werden sie wohl enttäuscht sein“, so seine Einschätzung.
Das Jahr 2024 wird also für die Branche Herausforderungen bringen, Schwarzmalen ist aber nicht angesagt. Denn: „In der Baubranche wird es immer etwas zu tun geben. Die Bevölkerung wächst, sie braucht Wohnraum. Themen wie Umbau und Sanierung im Zuge der Nachhaltigkeit werden wichtiger, und auch der Klimawandel bringt so manche Herausforderung. Die Arbeit geht nicht aus.“
Doris Martinz