Was hat der Zeh von Jesus mit einem Ostergrab zu tun?
Und warum benötigt man Helm und Klettergurt in einer Kirche?
Ein Gespräch mit Günther Huber.

Es ist einer der ersten Tage, der sich wie Frühling anfühlt. Die Sonne­ scheint durchs Fenster und fällt auf den Tisch zwischen mir und meinem Gesprächspartner Günther Huber. Vor ihm liegt ein dicker, weißer Ordner – mit Namen „Oster­grab“. Zu finden ist darin­ alles, was mit dem Auf- und Abbau des St. Johanner Oster­-
­grabs zu tun hat – sauber in Klarsichthüllen verpackt und mit Trennblättern sortiert. Von Detailplänen und genauen Abläufen über dutzende Fotos bis hin zu Listen von Helfernamen ist in diesem Sammelwerk alles über das Kulturgut zu finden.
„Das Ziel ist, dass theoretisch jemand Neues mit der Anleitung das Ostergrab problemlos auf- und wieder abbauen kann“, verdeutlicht Günther, der seit 2016 für die Organisation und Koordination der Auf- und Abbauarbeiten zuständig ist. Als ich ihn frage, wie er zu dieser Aufgabe kam, schmunzelt er: „Wie die Jungfrau zum Kind“. Als Mitglied der Schützenkompanie ist Günther seit dem Jahr 2006 in der Causa involviert. Damals war Carl Hofinger federführend in Sachen Ostergrab. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass das Kulturgut nach vielen Jahren den Weg vom Dachboden zur Restauration und wieder in die St. Johanner Kirche fand. Es war im Jahr 2016, als Carl Hofinger während des traditionellen Zusammensitzens und „Dankeschön“-Essens nach getaner Arbeit im Huber-Turm „einfach mal so“ die Organisation an Günther übergab. Der wusste bis zu diesem Moment nichts davon. Aber die Übergabe war erfolgreich – vielleicht genau wegen der Überraschung. Und dass es die richtige Entscheidung war, zeigt sich daran, dass Günther sich auch 2025 noch um die Koordination kümmert. Doch eine Sache ist ihm wichtig zu betonen: Alleine könnte er nicht viel ausrichten – es braucht jede Menge helfender Hände. Und um diese Hände soll es heute gehen.

Von der Geige bis in die Kirche

Ungefähr 20 Personen, aufgeteilt in zwei Gruppen, sind jedes Jahr involviert. Während Gruppe 1 dafür zuständig ist, dass die Einzelteile des Ostergrabs vom Lagerort „in der Geige“ bis in die Kirche kommen („Geige“ wird übrigens das kleine Holzhäuschen genannt, das an den BTV-Parkplatz angrenzt). Diese Gruppe besteht aus ca. 8 bis 10 Personen – vom ambitionierten Pensionisten bis zum Arbeiter, der sich freinimmt, um Teil der Mission Ostergrab zu sein. Unterstützt werden die Helfer von Bauhofmitarbeitern der Gemeinde. Die 2. Gruppe besteht, passend zum Thema, aus einigen Zimmermännern und handwerklich geschickten Personen, die dafür zuständig sind, dass das 11 Meter hohe Grab jedes Jahr wieder korrekt aufgebaut wird. „Für diese Arbeit brauchen wir Spezialisten. Die Arbeiten in der Kirche finden teilweise auf einem Gerüst in 11 Metern Höhe statt. Ohne Schwindelfreiheit und gutes handwerkliches Geschick ist das nicht machbar“, lässt mich Günther wissen. Währenddessen blättert er durch den Ordner und zeigt mir immer wieder Bilder vom Aufbau, dem Gerüst und dem Ostergrab selbst. „Die Arbeit beider Gruppen ist immens wichtig. Wenn die einen die Teile nicht rechtzeitig heranschaffen, haben die anderen nichts zu tun. Trotzdem ist es wichtig, dass wir die Mannschaft aufteilen. Wenn zu viele beim Aufbau in der Kirche helfen, können sich durchaus gefährliche Situationen ergeben“, merkt er an. Verletzt wurde bei den Aufbauarbeiten bislang noch niemand, brenzlige Situationen wären jedoch immer wieder aufgetreten. „Mittlerweile stehen wir alle mit Helmen beim Aufbau in der Kirche, die Helfer am Gerüst tragen Klettergurte und sind gesichert, um Unfälle zu vermeiden und die Sicherheit aller Helfenden zu gewährleisten“. Doch das eigentliche Geheimnis für den unfallfreien Aufbau verrät er mir erst gegen Ende unseres Gesprächs. Bevor der Aufbau beginnt, ist Günther meist der Erste in der Kirche und zündet dort eine Kerze an. Mit einem Augenzwinkern verrät er, dass er wohl nicht der Einzige der Mannschaft ist.
Eine Frage beschäftigt mich während des Gesprächs: Aus welchen Gründen nehmen die Helfer jedes Jahr am Auf- und Abbau teil … ist es eine Pflicht, ist es die Entlohnung oder ist es der Glaube, der die Menschen dazu bewegt? Die Antwort lautet: nichts davon. Es sind die Gemeinschaft und die Liebe zu dieser Tradition,­ die die Helfer zu dieser unbezahlten Arbeit motivieren.­ „Wir treffen uns in dieser Konstellation sonst das ganze Jahr über nicht, da ist die Freude zu Ostern groß, wenn das gemeinsame Projekt wieder ansteht“, führt Günther aus. „Und am schönsten ist es für alle, nach getaner Arbeit gemeinsam zusammenzusitzen, die Tage Revue passieren zu lassen und schon die ersten Pläne und Adaptionen für das nächste Jahr zu sammeln“, schließt er.

Der große Zeh von Jesus

Zum Abschluss noch eine Anek­dote, um die zu Beginn gestellte Frage nach dem großen Zeh von Jesus zu klären. Sollte ich erwähnt haben, dass es bislang noch nie zu Verletzungen gekommen ist, stimmt das nicht hundertprozentig. Eventuell gab es doch schon mal einen kleinen Vorfall. Um das Ostergrab zu montieren, muss die große Jesus-Statue am Kreuz über dem Altar abgenommen werden. Und mag sie aus der Ferne auch recht filigran wirken, so hat sie doch ein stolzes Gewicht. Es trug sich zu, dass einer der Helfer überrascht vom schweren Gewicht der Jesus-Statue war und im Affekt: „Mein Gott, is der Teifi schwar“, zum großen Gelächter der rundum stehenden Mannschaft in der Kirche kommentierte. Als er dann aber auch noch den abgebrochenen großen Zeh von Jesus in der Hand hielt, war das Malheur perfekt. Gott sei Dank konnte damals der Kirchdorfer Schnitzer Horst Pali fachgemäß Erste Hilfe leisten und den Zeh wieder am Fuß fixieren – am Ende war also doch alles wieder gut.
Und so schließt sich der Kreis. Denn egal ob Jesus-Figur über dem Altar, Ostergrab oder die Schar der Freiwilligen – für alle(s) zusammen gilt: Jedes Teil und jeder Helfer ist wichtig und hat seinen Platz. Und was am Ende durch die Einzelteile entsteht, ist nicht nur ein Ostergrab, das den Menschen Freude bereitet, sondern auch ein Gefühl der Gemeinschaft, das die Menschen über das ganze Jahr miteinander verbindet, bis es im nächsten Jahr wieder heißt: „Manda, es ist wieder Zeit … für das St. Johanner Ostergrab!“

Das Ostergrab ist dieses Jahr übrigens von 16. bis 21. April in der St. Johanner Kirche zu sehen.
Theresa Hager