Der Obmann und zugleich Kommandant der Feller Schützenkompanie in St. Johan, Oliver Wieser, über den Traditionsverein, Aufgaben und Herausforderungen.
Oktober 2019, Berlin: Eine 50 Mann beziehungsweise Frau starke Abordnung der Feller Schützenkompanie aus St. Johann in Tirol bezieht Stellung zwischen der ägyptischen und der österreichischen Botschaft – misstrauisch beäugt von den Ägyptern. Laut tönende Kommandos sind zu hören, die Schützen in ihren prächtigen Uniformen stehen stramm, straff halten sie ihre Gewehre, führen es zur Schulter, und beim Befehl „Hoch an, Feuer!“ schießen sie in die Luft. Alle zugleich, als wäre es ein einziger lauter Knall. Kommandant Oliver Wieser verkneift sich ein erleichtertes Lächeln und drückt stattdessen den Rücken noch einmal gerade. „Schultert!“, fordert er von seiner Truppe. Unzählige Augenpaare sind in diesem Moment auf ihn gerichtet, auch jene des Österreichischen Botschafters in Berlin und des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter. Wieser und die Feller Schützenkompanie haben den Auftrag, das Land Tirol in Berlin zu repräsentieren, gemeinsam mit der Bundesmusikkapelle und dem Gemeinderat der Marktgemeinde. Das Motto lautet „Spüre die Kraft Tirols!“ „Diese Kraft haben wir sicher gut hinaufgebracht“, sagt Oliver Wieser, Obmann und Hauptmann beziehungsweise Kommandant der Feller Schützen bei unserem Gespräch. Die Erinnerung an die Veranstaltung zaubert ihm ein Strahlen ins Gesicht, das noch stärker wird, als er erzählt, wie beeindruckt der Landeshauptmann vom Auftritt der Feller Schützen war – von ihrer Exaktheit, von der perfekt gelungenen Ehrensalve. „Ich bin nicht der Größte, aber in diesem Moment in Berlin bin ich ein gutes Stück gewachsen.“ Er sei erfüllt gewesen von Ehre, Stolz und Dankbarkeit. Diese Haltung habe sich auf die ganze Kompanie übertragen, sie sei in jenen Tagen wohl ein Stück weit über sich selbst hinausgewachsen.
Landlibell und Andreas Hofer
Die Schützenkompanien des Landes gehen auf das Tiroler Landlibell zurück – eine Urkunde Kaiser Maximilian I. aus dem Jahr 1511. Es legte im Einvernehmen mit den Tiroler Landständen fest, dass die Stände zur Verteidigung des Landes Kriegsdienste zu leisten hatten und war bis 1918 gültig. Freiheitskämpfer Andreas Hofer berief sich auf dieses Landlibell, als er sich mit seiner Gefolgschaft gegen die Bayern und Franzosen stellte, die sich das schöne Tirolerland unter sich aufteilen wollten. Der Volksheld wird längst auch mit kritischem Blick gesehen – etwa als bigott oder „ewig-gestrig“, also allem Neuen gegenüber abgeneigt. Interessant finde ich die historisch belegte Tatsache, dass Hofer zum Beispiel auch gegen die Pockenimpfung antrat, die von den Bayern verordnet wurde. Wie sieht Oliver Wieser die Figur Andreas Hofer? „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Aufstand zur Pflicht“, kommt es von ihm, wie aus der Pistole geschossen. Und etwas milder sagt er: „Mit der Impfung habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt, das ist natürlich ein aktuelles Thema. Aber ich glaube nicht, dass die Tiroler Schützen einen Aufstand anzetteln werden, weil wir uns nicht impfen lassen wollen.“ Er lacht. Humor hat er, der Kommandant. Schließlich lautet sein Motto ja auch „mit Herz, Hirn, Härte und Humor“, wie er mir später verrät. 4H statt 3G. Andreas Hofer ist und bleibt für die Schützen Volksheld und Vorbild.
Sie befassen sich heute nicht mehr mit tagespolitischen Themen, sondern haben ganz andere Aufgaben: „Sie rücken gegen das Vergessen aus, sie leben Heimattreue. Sie stehen für unsere Tiroler Identität ein, machen die Einheit des Landes durch gelebte Freundschaften und Kooperationen wahrnehmbar und fördern – als positive Kraft dieses Landes – unseren gemeinsamen Kultur-, Wirtschafts- und Lebensraum innerhalb der Europaregion Tirol.“ So hat es der Landeshauptmann einmal bei einer Ansprache ausgedrückt. Mit diesen Aussagen kann sich auch Oliver Wieser identifizieren.
Ein Soldat wird sesshaft
Als Namensvetter der Kompanie in St. Johann, die 1953 gegründet wurde, fungieren Andreas Augustin Feller und dessen Sohn Anton Georg Feller. Andreas Augustin Feller, geboren um 1740, war Bierbrauer und Bärenwirt von St. Johann und errang sich einige Verdienste um die Verteidigung Tirols gegen die Bayern und Franzosen – er machte von 1796 bis 1800 sieben Schützenmärsche mit und starb 1809. Auch sein Sohn Anton Georg Feller erwies sich als tapferer Kämpfer für Tirol. Als solcher hätte sich vor zweihundert Jahren wahrscheinlich auch Schützenkommandant Oliver Wieser gezeigt. Als Oliver acht Jahre alt war, starb seine Mutter, mit 14 ging er nach Wiener Neustadt, um dort das Militärgymnasium zu besuchen und danach die Militärakademie zu absolvieren. Die Ausbildung, den Drill, all das bezeichnet Wieser als „stabilen Anker“ in seiner Jugend, den er nicht missen wolle. Fast fünf Jahre lang war er danach als Offizier in St. Johann stationiert, bevor er 2015 seine Uniform für immer auszog und den Bereich „Sicherheit“ bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel übernahm. Dort ist er für Polizei-Angelegenheiten, das Waffengesetz, das Sicherheitspolizeigesetz, die Pyrotechnik und weitere Bereiche zuständig. Er habe den Schritt getan, weil er die richtige Partnerin fand, eine Familie gründen wollte, so Wieser. Sohn Jakob ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Der 37-Jährige genieße es sehr, Vater zu sein und sei sehr dankbar dafür. Doch die Uniform, das Soldat-Sein, es fehle ihm an „jedem verdammten Tag“, gesteht Wieser. Er vermisst die straffe Organisation, die klaren Strukturen, die Disziplin.
Ein „lässiger Haufen“
2018 kam Oliver zu den Schützen, sehr bald fand er sich in der Doppelposition des Obmanns und Hauptmanns wieder. Bei der nächsten Wahl stellt er sich gerne wieder zur Verfügung.
Der Verein bot Wieser die Möglichkeit, nach den vielen Jahren, die er in der Ferne verbrachte, in der Heimat wieder Fuß zu fassen. Bei den 225 Mitgliedern – 64 davon sind aktive – stieß er von Anfang an auf hohe Akzeptanz. Darüber freut er sich sehr, wie auch über die insgesamt neun Marketenderinnen, die bei den Ausrückungen den Schützen vorangehen – ein schönes Bild. In einem durchschnittlichen Jahr rücken die Feller Schützen innerhalb der Gemeinde rund zehn Mal aus, nehmen an mehr als zehn Veranstaltungen anderer Institutionen wie Vereine und Kirche teil und entsenden zehn Mal eine Fahnenabordnung.
Ob Ostergrabwache, das Patrozinium der Einsiedelei, der Kanonenstart des Koasalaufs, die Eröffnung des Radweltcups, das „Jaggas’n“-Fest und viele andere Aktivitäten … die Schützen mit ihrer „Man-Power“ sind im Ort nicht wegzudenken und rücken vor allem dann ins Rampenlicht, wenn hoher Besuch in den Ort kommt und mit einem „landesüblichen Empfang“ samt Ehrensalve willkommen geheißen wird.
Was in Tirol ganz selbstverständlich ist, nämlich dass sich die Schützen als Zivilpersonen in landesüblicher Tracht und mit geladener Waffe in der Öffentlichkeit bewegen, sorgt in anderen Bundesländern und natürlich auch im Ausland für Furore. Wieser genießt die Aufmerksamkeit, die er mit seiner „Kampfgemeinschaft“, wie er sie nennt, bekommt. Und natürlich auch das gemeinsame Zusammensitzen und Feiern nach dem offiziellen Teil. „Es ist einfach ein lässiger Haufen“, sagt er lächelnd. Der „lässige Haufen“ sucht allerdings Nachwuchs – wie viele andere Vereine auch. Wer also Freude daran hat, sich in schöner Uniform zu präsentieren, das Land Tirol zu repräsentieren und sich gerne in das Dorfleben einbringen will, ob jung oder alt, der meldet sich am besten noch heute bei den Feller Schützen. Von Vorteil ist es auch, wenn man den Umgang mit dem geladenen Gewehr nicht scheut.
Im Oktober 2019 in Berlin gelang der Feller Schützenkompanie ein homogener Schuss, der Landeshauptmann Günther Platter alle Achtung abrang. Natürlich sollte am besten jede Ehrensalve so gut gelingen. „Es ist schon das Ziel, dass der Wirt am Hauptplatz oder sonst wo nicht weiß, wie viele Würstel er machen muss“, sagt Wieser scherzend.
In Berlin feierte die Kompanie im Anschluss mit Huber Bier, das der österreichische Botschafter Peter Huber, Bruder des Brauerei-Chefs Günther Huber, extra kommen hatte lassen. Für die Kompanie, und natürlich für die Berlinerinnen und Berliner. Inzwischen stoßen die Schützen aber auch mit Bayern und Franzosen gerne an. Die Nachfahren von Andreas Hofer sind Europäer geworden …
Doris Martinz