Renate Magerle darüber, warum sie oft „laut“ sein muss, was Frauen an gewalttätige Männer bindet und mehr.

Anfang September lud das Team des Mädchen- und Frauen­beratungszentrums in St. Johann rund um Obfrau Renate Magerle zur Podiumsdiskussion. Mit dabei waren Beraterin Melanie Pumberger, Mag.a Eva Pawlata, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, der Bezirkspolizeikommandant Kitzbühel, Obstlt. Martin Reisenzein, Mag.a Verena Elvira Hauser von der Opferschutzgruppe des Bezirkskrankenhauses St. Johann und DSA.in Marianne Hörl von der Kinder- und Jugendhilfe Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel. Im Zentrum der Gespräche stand das Thema Gewalt gegen Frauen, die vielleicht noch nie so gut sichtbar an die Oberfläche drang wie aktuell. Die Gründe dafür sind mannigfach und liegen mit Sicherheit auch in den Krisen, die den Druck in den Familien steigen lassen. Renate Magerle sieht bei unserem Gespräch das Grundübel jedoch auch noch ganz woanders: „Das Problem ist nicht die Gewalt gegen Frauen, die gerade aufpoppt, sondern wir haben ein strukturelles Problem!“
Seit zwölf Jahren setzt sich Magerle im Mädchen- und Frauenberatungszentrum in St. Johann für die Belange ihrer Geschlechtsgenossinnen ein. Mit ihrer Arbeit hat sich Magerle nicht nur Freunde gemacht – und auch nicht nur Freundinnen. Denn sie ist in ihren Forderungen unnachgiebig und manchmal auch laut. „Ich bin so geworden“, sagt sie. „Laut zu sein macht einen nicht immer sympathisch. Glaubst du, dass ich das gerne tue?“ Sie habe keine andere Wahl, sagt Magerle, sie müsse sich Gehör verschaffen. Manchmal stößt sie an ihre Grenzen, der Einsatz geht an die Substanz. Aber wenn sie sich dann an ein Zitat eines Bürgermeisters erinnert, flammt der Zorn auf, und die Kraft ist wieder da: „Sollen die Frauen sich halt ordentlich aufführen, dann brauchen wir so eine Einrichtung wie das Mädchen- und Frauen­beratungszentrum nicht“, sagte er zu ihr.

Hilferuf an die Kommunen

Dabei brauchen Renate und ihr Team gerade jetzt die Hilfe und Unterstützung der Gemeindechefs im Bezirk: Das Zentrum ist seit seiner Gründung im Jahr 2009 vorwiegend auf Spenden und Sponsoren angewiesen. Würde das Mädchen- und Frauenberatungszentrum von den Gemeinden mehr Unterstützung bekommen, hätte man eine Chance, vom Bundesministerium als Frauenservicestelle anerkannt zu werden. „Wir erfüllen schon lange alle Kriterien, außer jener der Förderhöhe durch andere Gebietskörperschaften. Das ist ein groteskes Kriterium. Da beißt sich die Katze in den Schwanz“, sagt Magerle. Ihre Hoffnung, dass sich die Bürgermeister für das Zentrum stark machen, ist aber gering. Es gebe löblich Ausnahmen wie den Standortbürgermeister in St. Johann, vielen anderen jedoch habe sich der Sinn der Einrichtung und die Dringlichkeit des Bedarfs wohl noch nicht erschlossen. Jedes Jahr schreibt Magerle die Kommunen mit der Bitte an, das Mädchen- und Frauenberatungszentrum zu unterstützen. „Wir verlangen keine Millionen, es sollte für wirklich jeden Ort machbar sein. Dann wären wir finanziell ein wenig besser abgesichert.“ Aus einer Gemeinde kamen zuletzt wieder 50,– Euro als jährliche Unterstützung, von einigen anderen gar nichts. Die Frage, wie viel den betreffenden Gemeindechefs Gewaltschutzprävention und Frauenarbeit wert sind, muss man sich wohl nicht stellen. Vielleicht ist dem so, weil sie der Ansicht sind, dass wir so etwas in unserer Region nicht brauchen. Dass diese Annahme falsch ist, wurde beim Pressegespräch Anfang September offensichtlich. Der Bezirkspolizeikommandant von Kitzbühel, Obstlt. Martin Reisenzein, bestätigte den markanten Anstieg der Gewalt gegen Frauen auch bei uns, direkt in unserer Nachbarschaft. Die Hemmschwelle, sich an die Polizei zu wenden, sei jedoch sehr groß. Umso wichtiger sind Einrichtungen wie das Mädchen- und Frauenberatungszentrum als Anlaufstelle, so Reisenzein.

Es passiert nebenan

Gewalt gegen Frauen passiert viel öfter, als wir annehmen und uns eingestehen wollen. Melanie Pumberger schildert einen ganz „klassischen Fall“, wie er immer wieder vorkommt: Eine Mutter von zwei Kindern im Alter von sieben und zwölf Jahren wendet sich an das Zentrum. Sie kommt aus einem kleinen Ort ohne Zug- und guter Busverbindung (ja, diese Orte gibt es im Bezirk!). Ein eigenes Auto besitzt sie natürlich nicht. Schon vor Monaten kam es zur körperlichen Gewalt. Sie hat ihre Verletzungen fotografiert, eine Anzeige bei der Polizei erfolgte nicht. Noch viel länger gab und gibt es psychische Gewalt: Die Isolation von FreundInnen durch den Ehemann und tägliche Aussagen wie „Du kannst den Kindern eh nichts bieten, du verdienst dafür nicht genug. Was willst du eigentlich, du brauchst mich doch! Ohne mich kannst du nicht. So hässlich, wie du bist, findest du sowieso keinen anderen.“ „Wenn man das täglich hört, dann macht das was mit einem“, sagt Pumberger. Die Frau, die sich schließlich an das Mädchen- und Frauenberatungszentrum in St. Johann wandte, lebte nur noch dafür, es dem Mann recht zu machen, damit er ruhig und friedlich blieb. Man mag sich fragen, warum diese Frau ihren Mann nicht schon längst einfach verließ und mit den beiden Kindern aus dem gemeinsamen Zuhause auszog. Die Antwort ist: Weil nichts daran „einfach“ ist. Die Kinder gehen zur Schule und werden bei einer Trennung aus ihrem Umfeld gerissen. Eine Mutter will das ihren Kindern nicht „einfach“ antun. Oft verschlechtert sich nach der Trennung die Wohnsituation, „Schuld“ ist in den Augen der Kinder oft die Mutter. Dazu kommt die finanzielle Ungewissheit: Wird der Mann zahlen und wenn ja, wie viel? Ist eine Trennung wirtschaftlich überhaupt machbar? Auch die Kinderbetreuung ist ein Thema: Die Mutter wird arbeiten gehen müssen – wer kümmert sich um die Kinder? Dazu kommt bei vielen Frauen der Respekt vor den Ämtern. „Einfach“ hingehen und seine Ansprüche geltend machen bei Kinder- und Jugendamt, Sozialamt, Polizei, … das geht nur, wenn genug Selbstvertrauen da ist. Der Selbstwert ist aber bei jener Frau – wie bei so vielen anderen auch – auf einem absoluten Tiefpunkt.

Psychologische Hilfe ist vonnöten

Pumberger vergleich die Situation jener Frau mit einer Tour auf den Großglockner ohne Ausrüstung: Es geht, man kommt schon irgendwie auf den Gipfel. Aber wenn man eine Ausrüstung geliehen bekommt, geht es leichter, schneller und sicherer. „Wenn man mit den Einrichtungen zusammenarbeitet, ist die Loslösung aus einer Beziehung, in der Gewalt herrscht, einfacher.“
Viele Frauen brauchen psychi­atrische Hilfe, um dem Prozess überhaupt gewachsen zu sein. Das Problem: Es gibt im Bezirk Kitzbühel keinen Psychiater, der eine entsprechende Diagnose stellt, damit die Sozialversicherung die Therapiekosten übernimmt. Die nächste Ambulanz ist im Krankenhaus Kufstein, eine stationäre Aufnahme wäre nur in Hall möglich – weit weg von daheim und den Kindern. Die Folge ist, dass Frauen, die Hilfe bräuchten, sie nicht in Anspruch nehmen. „Da gibt es dringenden Bedarf im Bezirk“, bestätigt Magerle. Dieser Bedarf ist den Behörden längst bekannt, er betrifft ja nicht nur Frauen.

Es braucht eine Strukturänderung

Das Mädchen- und Frauenberatungszentrum in St. Johann stellt Wohnmöglichkeiten für Frauen, Mütter und ihre Kinder zur Verfügung. Hier finden sie Unterkunft, wenn sie den gewalttätigen Ehemann und Vater verlassen. Das Zentrum ist eingebunden in ein Netzwerk aus weiteren Organisationen in ganz Tirol, die Betten zur Verfügung stellen. Sie sind immer ausgelastet.
Das Betreiben von Frauenservicestellen und Hilfszentren ist aber immer nur ein Reagieren auf eine Situation, die so nicht sein sollte. Sie wurzelt in der Tatsache, dass Mädchen von klein auf zum Hübschsein und Liebsein angehalten werden, während von Buben Tatkraft erwartet wird. Auch in der Politik sind Frauen oft nur „Behübschung“. Steht eine Frau an der Spitze, werden weniger die Inhalte ihrer Reden diskutiert als ihre Frisur. Auch von Frauen.
Frauen an der Spitze müssen weit mehr leisten als Männer in derselben Position. Sie dürfen sich keine Schnitzer leisten, während Männer durch Fehler lernen. Die Macht ist männlich, daran hat sich in den letzten Jahrzehnten in unseren Breitengraden nichts geändert. Auch deshalb nicht, weil Frauen selbst an ihren alten Rollenbildern hängen. Und weil oft auch die Solidarität untereinander fehlt. Dabei geht es nicht darum, dem weiblichen Teil der Bevölkerung einen Vorteil in der Gesellschaft zu verschaffen. Das Ziel ist die faire Gleichstellung in allen Bereichen. Und die sollte uns allen wichtig sein.
Gewalttaten gegen Frauen werden durch Wegweisungen und Verbote auch in Zukunft nicht zu verhindern sein. Was es braucht, ist die Veränderung unserer Haltung gegenüber Frauen. Bei uns und auf der ganzen Welt.

Doris Martinz