Pussy Riot gastierten wieder in St. Johann. Ein Gespräch mit Masha Alekhina über Widerstand, Vorurteile und Versäumnisse.

Ihre Musik ist laut, schrill, punkig. Schunkeln ist nicht bei Pussy Riot. Die Band will wachrütteln, die Welt aufhorchen lassen. Und auch uns berühren. Uns, die wir uns selbst in Zeiten, in denen in der Ukraine Krieg herrscht, in der Heimat sicher fühlen dürfen.
Die Polit-Punk-Band arbeitet mit Aktionismus und mit Musik, die so manchem nicht gefällt. Am wenigsten gefällt sie wohl Wladimir Putin: Seit vielen Jahren setzt sich die Gruppe junger Frauen mit ihren feministischen sowie regierungs- und kirchenkritischen Aktionen gegen sein Regime ein. Drei von ihnen kamen dafür ins Gefängnis, darunter auch Masha Alekhina. Ich unterhalte mich (in Englisch) mit ihr, während die Band im Zuge ihres Aufenthalts in der Marktgemeinde Ende März im Thai-Imbiss „Nini“ in St. Johann zu Abend isst. Masha gelang letztes Jahr – getarnt als Essens-Lieferantin – die Flucht aus Russland.
Sie und ihre Bandkolleginnen seien vielleicht die ersten Aktivistinnen gewesen, die Opfer des russischen Regimes wurden, so die 35-jährige Russin. „Wir erfuhren das System am eigenen Leib und sehen uns verpflichtet, der ganzen Welt zu sagen, wie es arbeitet und welche Gefahr von ihm ausgeht – nicht nur für uns“, sagt sie. Sie erzählt, dass 2014, als Russland die Krim einnahm, ein neues Zeitalter im Land begann – ein noch schwierigeres als zuvor, in dem Masha verhaftet worden war (das war 2012, sie blieb zwei Jahre lang inhaftiert). Bis dahin hatte sich die Propaganda auf die russischen Werte und Traditionen konzentriert, ab 2014 wurde der Ton schärfer – Pussy Riot beispielsweise wurden fortan im eigenen Land als Feinde bezeichnet. Das Regime übernahm die Kontrolle über alle TV-Stationen. Immer mehr ging es um imperialistisches Gedankengut – darum, die Sowjetunion wieder auferstehen zu lassen. Im Prinzip arbeitetet alles auf die Ereignisse im Februar 2022 hin. „Wir haben damals auf den verschiedensten Plattformen, zum Beispiel vor dem EU Parlament und vor dem Britischen Parlament, über die Notwendigkeit von Sanktionen gegen Putin gesprochen. Leider wurden keine beschlossen“, so Masha. Es bringe nichts, verärgert darüber zu sein darüber, was Europa vor neun Jahren verabsäumt habe. „Wenn man aber 2014 die Sanktionen verhängt hätte, dann hätte Putin 2022 kein Geld für den Krieg gehabt.“

Unser Geld finanziert den Krieg

Die Haupteinnahmequelle des Regimes ist das Geld aus den Gas- und Ölexporten. Es wird dafür verwendet, im Land all jene einzusperren und zu töten, die sich ihm widersetzen – und natürlich zur Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine. Es ist westliches Geld, das ihn erst möglich macht. „Und das sollte aufhören“, so Masha. In der schmal gebauten, zierlichen Person mit den langen, dunkelblonden Locken steckt ein unbeugsamer Wille, soviel ist offensichtlich.
Der Krieg müsse mit einem Sieg für die Ukraine enden, stellt sie klar. Das Land brauche Unterstützung, denn es kämpfe für die Werte der EU und der gesamten westlichen Welt. Sie und ihre Kolleginnen von Pussy Riot helfen der Ukraine nach Kräften, indem sie von ihrer persönlichen Geschichte erzählen, von den Repressionen, die sie erfahren haben, vom russischen Regime, das vor keiner Gewalt zurückschreckt. Und sie unterstützen aktiv ein Kinderhilfswerk in der Ukraine.
Pussy Riot kämpft gegen Putin und gegen seine Schergen. Was aber ist mit den Millionen von Russinnen und Russen, die ihn unterstützen, sein
Vorgehen gutheißen oder zumindest tolerieren? Selbst un­-
ter den gefährlichsten Umständen gab und gebe es immer noch Proteste in Russland, antwortet Masha. Tausende Menschen säßen deshalb im Gefängnis – unter furchtbaren Bedingungen. Das Problem sei, dass es keine „Brücke“ zwischen den Protesten in Russland und dem Westen gebe. Die westlichen Medien interessierten sich noch immer zu wenig dafür, meint Masha kritisch. „Sie haben sich auf jedes Wort gestürzt, das Donald Trump von sich gegeben hat, als er noch Präsident der USA war. Was sich in Russland abspielte, war nicht halb so spannend für die Öffentlichkeit. Viele Leute denken, Russland sei einfach ein großes, schwarzes Loch, die totalitäre Hölle. Sie denken, es wäre besser, die Russen einfach ihrem Schicksal zu überlassen.“
Für einen Moment klingt Resignation mit in Mashas Stimme, sie isst still ihren Reis mit Gemüse. Sie kenne viele Leute, die man wie sie ins Gefängnis gebracht habe, meint sie etwas später, als sie zu ihrem selbstbewussten Ton zurückgefunden hat. Sie sei eine öffentliche Person und genieße daher gewissen Schutz, doch für die meisten anderen gelte das nicht. Seit ihrer Verhaftung setzt sich Pussy Riot deshalb auch für bessere Haftbedingungen in der Heimat ein.
Masha sagt, die meisten Russinnen und Russen wollen sich nicht isolieren oder die Sowjet­union wieder aufbauen. Für das Land sei der glücklichste Moment im letzten Jahrhundert jener gewesen, in dem die Perestroika ausgerufen wurde, die Grenzen sich öffneten und die Leute in den Westen reisen konnten. „Die Menschen sind offen und nicht gegen Demokratie!“ Nun jedoch sei die Bevölkerung entmutigt, sie sehe keine Hoffnung und Zukunft für sich. Stalin habe einst mit seinen grausamen Methoden dafür gesorgt, dass die kritischen Stimmen, die oft auch aus dem Bereich Kunst und Kultur kamen, verstummten; Putin mache es nun ebenso. Klar gebe es auch die Pro-Putin-Stimmen in Russland, aber sie seien nicht die Mehrheit, wie man der Welt weismachen wolle. Nicht umsonst habe es zu Beginn des Kriegs eine Immigrationswelle gegeben, hunderttausende Russinnen und Russen verließen ja ihre Heimat. Unter ihnen viele Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen, die nun vom Ausland aus arbeiten.

Mashas Appell an uns

„Wir alle müssen uns einig sein, dass die Ukraine siegen muss“, sagt Masha. Was können die Menschen in unserer Region dafür tun, frage ich sie. „Als wir zum ersten Mal nach St. Johann kamen (im Mai ’22, Anmerkung der Redaktion) und die vielen Flüchtlinge sahen, die hier untergebracht und gut versorgt sind, waren wir positiv überrascht“, sagt sie. „Das ist schon eine große Sache, das ist gelebte Humanität.“ Nun gelte es, die Ukraine zu stärken. Und wie soll das von St. Johann aus gehen? „Ihr habt eine Demokratie. Ihr könnt gegen die Regierung protestieren, die nicht aus dem Vertrag mit Russland aussteigt; ihr werdet dafür nicht umgebracht. Demonstriert, setzt euch ein! Nur wenn Putin kein Geld mehr aus dem Ausland bekommt, gibt es eine Chance auf ein Kriegsende“, sagt Masha mit Nachdruck.
Wie kamen Pussy Riot eigentlich nach St. Johann? „Wir haben hier bereits letztes Jahr im Zuge unserer Tournee ein Konzert gegeben“, erklärt Masha. Olga Borisova, die bislang nur zugehört hat, schaltet sich ein und sagt: „Wiedergekommen sind wir, weil die hier Hans haben. Und Carlo“, fügt sie noch hinzu. Sie spricht von Hans Oberlechner und Carlo Chiavistrelli. Beide setzten sich nicht nur dafür ein, dass die Band in St. Johann optimale Bedingungen für ihre Arbeit vorfand; sie sorgten mit vielen Helferinnen und Helfern auch dafür, dass sich die Frauen im Ort willkommen und wohl fühlten. Beim Konzert Ende März dieses Jahres war der Anti War Song, den die Band im Woodway-Studio in St. Ulrich aufgenommen hatte, als Welt-Uraufführung zu hören – ein eindringliches Plädoyer für den Frieden.
Zum Abschied gibt mir Masha noch Sätze mit, die wohl nicht nur mich nachdenklich stimmen: „Die Europäer sehen die zerbombten Städte in der Ukraine und Menschen, die von der russischen Armee umgebracht werden. Sie denken, dass es nicht schlimmer geht. Aber ich versichere dir, es könnte sehr wohl noch viel schlimmer kommen!“
Ich verstehe ihre Worte als Appell an uns alle. Wir müssen nicht auf Polit-Punk stehen, wir müssen uns auch keine Masken über das Gesicht streifen, wie es Masha und ihre Kolleginnen manchmal tun. Aber wir sollten uns ein Beispiel an den mutigen Frauen nehmen und uns einsetzen für das, was uns wichtig ist.

Doris Martinz