Warum sich Karoline Rafelsberger nicht unbedingt Ziele setzt, weshalb sie ihre Position in der „zweiten Reihe“ mag und mehr.

Auf dem Fensterbrett lehnen die vier schrägen Typen der Rockband „KISS“ als Figuren im Kleinformat, hinter der Tür „lauert“ in Lebensgröße Jason Mamoa in Karton als Aquaman, und auf ihrem Schreibtisch entdecke ich einen Porsche aus Legobausteinen. Zwischendrin – mit einem breiten Lächeln im Gesicht – Karoline Rafelsberger, stellvertretende Pflegedirektorin im Krankenhaus St. Johann. „Ich mag es durchaus auch verspielt“, meint sie belustigt auf meinen fragenden Blick hin. Sie habe sich die Figuren und das Spielzeug, das sie in ihrem Büro umgibt, nicht selbst gekauft, sondern von lieben Kolleginnen und Kollegen geschenkt bekommen. Weil man wisse, dass sie auf „das Zeug“ stehe: Auf Rockmusik, Actionfilme, schnelle Autos und Motorräder und solche Dinge mehr. Es ist nicht unbedingt das, was man erwartet. Wer die 47-Jährige kennt, ist davon nicht überrascht: Sie entspricht auch sonst in manchen Dingen nicht den gängigen Konventionen. Zumindest tut sie es heute nicht mehr:
Sie war sechs Jahre alt, als ihre Familie von Kitzbühel nach Oberndorf übersiedelte, wo Karoline ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Schon immer sprach sie davon, dass sie Kinderkrankenschwester werden wolle. Deshalb besuchte sie die Gesundheits- und Krankenpflegeschule in Schwaz und schloss jene 1997 mit dem Diplom ab. Danach arbeitete sie als Krankenpflegerin auf der Intensivstation im Krankenhaus St. Johann und absolvierte die entsprechende Fachausbildung. Damals hatte sie noch eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie ihr Leben aussehen sollte: Sie erwarb noch als junge Frau einen Baugrund; Haus, Mann, Kinder und Hund sollten folgen, sie sah das alles ganz klar vor sich. Doch dann lernte sie auf einer Silvesterparty ihren heutigen Mann Walter – einen in Wien lebenden, gebürtigen Kirchdorfer – kennen und lieben. Nach ein paar Jahren Fernbeziehung zog sie zu ihm in die Hauptstadt, um im AUVA Unfallkrankenhaus auf der Intensivstation für Traumatologie zu arbeiten. Sie, die sich ein Leben ohne die geliebten Berge, ohne Gipfelsturm und Wanderglück, nicht hatte vorstellen können. Aber es funktionierte:
„In Wien hat die Karo zu denken angefangen, sie hat ihr Leben hinterfragt, und ob sie das alles überhaupt will: das Haus und die Familie – das Sesshafte, das Klassische“, erzählt Karoline Rafelsberger über sich selbst. Das Stadtleben habe sie inspiriert, es habe einiges geändert. Sie verkaufte ihren Baugrund daheim.
Nach ein paar Jahren in Wien brachen sie und ihr Mann alle Zelte ab, um sich ein Jahr lang auf eine Weltreise zu begeben. Nur mit Rucksack und Zelt und dem, was sie selbst tragen konnten. Das Abenteuer begann in Neuseeland, wo sie unter anderem zwei Monate lang in einem Ashram für Kost und Logis arbeiteten. „Daraus ist eine intensive Yoga- und Meditationsliebe entstanden“, berichtet Karoline. Weiter ging es nach Australien, Malaysien und Thailand. In Bangkok jedoch erkrankte Walter an Malaria, die Reise musste nach einem Dreivierteljahr abgebrochen werden. „Von den Erfahrungen, die wir damals gemacht haben, zehren wir aber heute noch.“

Weiterbildung

Das Paar entschied sich, nicht wieder zurück nach Wien, sondern nach Tirol zu gehen und ließ sich in Kössen nieder. Karolines Mann arbeitet heute als Software-Entwickler meist im Homeoffice, sie selbst entschloss sich für persönliche und berufliche Weiterentwicklung: Sie machte das Diplom in ­Ayurveda Nursing und zur Resilienztrainerin sowie die Ausbildung zur Akademischen Pflegemanagerin und darauf aufbauend den Master in Pflegemanagement.
Die Ausbildungen liefen immer berufsbegleitend. „Und dann wollte ich auch etwas davon haben und in der Arbeit weiterkommen“, erklärt Karoline. Das Bedürfnis, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen, sei dabei immer weniger geworden. Sie und ihr Mann hätten dieses Thema oft von verschiedenen Seiten beleuchtet, man rede heute noch manchmal darüber. „Aber wir vermissen nichts“, sagt sie. Sie und ihr Mann seien sehr freiheitsliebend und unabhängig und würden ihre Leben genießen, so, wie es ist. Allerdings habe ein vierbeiniger Familienzuwachs namens „Rocket“, ein Terriermischling, ihr Leben vor einiger Zeit auf den Kopf gestellt. „Und wir finden es wunderbar!“

Karolines Prioritäten

Wunderbar findet Karoline­ auch ihren Job als stellvertretende Pflegedirektorin im Krankenhaus St. Johann.
Nach der Rückkehr von ihrer Weltreise arbeitete sie in der damaligen „Unfallambulanz“, später übernahm sie die Pflegebereichsleitung der Ortho-
pädie-Traumatologie Station­I und darauffolgend einige Jahre lang jene der Intensivstation. Immer ergab eines das andere. „In meinem Leben war das bislang immer so, die Möglichkeiten kamen auf mich zu.“ Sie habe stets das Gefühl, aus dem Vollen schöpfen zu dürfen, die Fülle des Lebens zu erfahren, schildert Karoline ihr Empfinden. 2019 bot sich ihr die Gelegenheit, in die Pflegedirektion zu wechseln. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich bereits in der Masterausbildung im Pflegemanagement.
Anfangs hätte ihr der Umgang mit den Patient:innen sehr gefehlt, gesteht sie. Denn man bekomme schon sehr viel zurück. „Die Pflege ist ein schöner und sinnerfüllter Beruf. Was die Medien daraus machen, tut mir weh und macht mich manchmal wütend. Aber es werden wieder andere Zeiten kommen. Zeiten, in denen sichere Jobs wie jener in der Krankenpflege wieder mehr Stellenwert haben“, ist sich Karoline sicher.
Sie schätze die Arbeit im Team sehr, vor allem auch die Zusammenarbeit mit Pflegedirektor Harald Sinnhuber, so die Wahl-Kössenerin. Die beiden lernten sich 1997 auf der Intensivabteilung als Arbeitskollegen kennen, später wurde Sinnhuber ihr Vorgesetzter.
Sie habe lange nicht daran gedacht, selbst in die Führungs­ebene zu wechseln, erklärt Karoline. „Das war in jungen Jahren nie mein erklärtes Ziel. Aber als sich die Chance bot, habe ich zugegriffen.“ Sollte sich eines Tages die Möglichkeit ergeben, Harald Sinnhuber nachzufolgen und Pflegedirektorin zu werden, werde sie womöglich zusagen. „Ich schaue aber immer gerne in mehrere Richtungen und will mich diesbezüglich heute noch nicht festlegen. Ich mache meinen Job einfach so gut, wie ich das von mir selbst verlange.“ Derzeit fühle­ sie sich in der zweiten Reihe durchaus wohl, meint sie. „Wichtiger ist mir, dass ich gern in die Arbeit gehe, dass der Job und das Klima passen und dass gesehen wird, was ich tue.“ Eine typisch weibliche Sichtweise? „Kann sein. Vielleicht setzen Frauen wirklich andere Prioritäten.“

Große Bandbreite

Sich laufend konkrete Ziele zu setzen, ist auf jeden Fall nicht Karoline Rafelsbergers Lebenseinstellung. Was soll die Zukunft bringen? „Möglichkeiten“, wünscht sie sich. „Ziele schränken ein. Ich will nicht vorhaben, in zehn Jahren auf Weltreise gehen zu müssen, das nimmt mir die Freiheit.“ Sie habe jedoch das Gefühl, so die Power-Frau, dass sich in ihrem Leben um die fünfzig noch einmal etwas ändern könnte. Also in wenigen Jahren. „Ich lasse mir aber alles offen. Ich bin sehr neugierig, abenteuerlustig und gespannt darauf, was sich noch alles tut bei mir.“ Vielleicht steht ja noch einmal eine Weltreise an? In dieser Hinsicht ist Karoline eher skeptisch. Wenn man es im Leben einmal schaffe, sich aus dem Arbeitsleben komplett herauszunehmen, sei das wohl schon ein großer Erfolg, meint sie. Aber es gebe ja noch unendlich viele andere Möglichkeiten, das Leben bietet ein ganzes Füllhorn davon. Man muss wohl die Gabe haben, sie als solche zu erkennen und den Mut zuzugreifen, wenn der Moment gekommen ist – so, wie es die Pflege-Managerin tut.
Von der Decke hängt am Fenster ihres Büros ein Mobile aus bunten Origami-Kranichen, sie schaukeln leicht im Wind, der durch den geöffneten Spalt ins Zimmer weht. Die Kraniche gelten in den östlichen Kulturen als Glücksbringer, Karoline bekam das Mobile von einer lieben Freundin geschenkt. Es schwebt direkt über den punkigen, in Schwarz-Weiß geschminkten Gesichtern der „KISS“-Figuren. Ein Arrangement, das Karoline Rafelsberger auch ohne Worte gut beschreibt.
Doris Martinz