Otto Leiner, Philipp Larch und Franz Goller im Gespräch über das Kaisergebirge, Umweltschutz und Gipfelsiege für den digitalen Beifall

Es wird wieder Herbst, die für mich schönste Jahreszeit. Ginge es nach mir, würde ich am liebsten die Zeit stillhalten und die bunten Blätter der Laubbäume, die in der Sonne wie Gold glänzen, monatelang betrachten. Blickt man in die Ferne, erscheinen die Berge zum Anfassen nah, und nicht nur ich folge gerne ihrem Ruf. „The Mountains are calling – and I must go“ – dafür sind sie ja schließlich da … oder?

Die grünen Spinner

Erinnert sich Otto Leiner, Abteilung Umwelt, Land Tirol, an seine Kindheit und Jugend, waren die Ausblicke vom Gipfel etwas anders als heute. Von gelungenen Selfies vor Speicherteichen, in denen sich das Bergpanorama spiegelte, kann er mir nicht erzählen, dafür aber von bunten Almwiesen, und dass er beim Wandern schon aufpassen musste, dass er keine von den zahlreichen Heuschrecken zertritt. Er erzählt mir das nicht, um zu sagen, dass früher alles besser war – denn das war es definitiv nicht – aber um mir zu verdeutlichen, wie sich die Natur bereits in einigen Jahren verändern kann. Er teilt mit mir seinen Eindruck: „Das Thema Naturschutz wird oft gesellschaftspolitisch als Einschränkung gesehen, obwohl man eigentlich stolz darauf sein sollte, in einer Natur zu leben, die es zu schützen und bewahren gilt.“ Mit welchen besonderen Pflanzen und Tieren wir diesen Lebensraum teilen, wissen wohl die wenigsten. Otto meint dazu: „Man müsste bereits im Kindesalter beginnen, die Leute für die Natur zu sensibilisieren.“

Jubiläum und Worst Case Szenario

Im April 2023 wurde das 60-jährige Bestehen vom Naturschutzgebiet Kaisergebirge gefeiert, dessen 92,6 km² sich über Kufstein, St. Johann in Tirol, Ebbs, Walchsee, Kirchdorf, Going, Ellmau und Scheffau erstreckten. Philipp Larch ist Schutzgebietsbetreuer und als freier Mitarbeiter für die Abteilung Umweltschutz angestellt. Ich treffe ihn mit Franz Goller, seinem ehemaligen Arbeitskollegen sowie Otto Leiner im Cafè Rainer in St. Johann in Tirol, kurz vor ihrem Meeting im St. Johanner Tourismusverband bezüglich der Erstellung von Infotafeln im Kaisergebirge und frage sie, was das Kaisergebirge für sie so besonders macht: „Der mosaikartiger Lebensraum,“ erklärt Franz begeistert. Philipp führt aus: „Die faszinierende Abwechslung von klimatischen Unterschieden – so befindet sich im Norden, beim zahmen Kaiser eine Stau-­Zone für Regen, während im Süden die Sonne hin brennt. Weiters findet man unzählige Felsen und Schluchten, die für verschiedenste Arten Lebensräume darstellen.“ Auch die enge Verzahnung von Kultur und Naturlandschaft sowie der Almbewirtschaftung seien einzigartig.
Philipp und Franz haben Biologie studiert und arbeiten nun eng mit Förstern, Waldbewirtschaftern, Bauern und Touristikern zusammen, um mit ihnen ihre Beobachtungen in der Natur zu teilen. „Wir vermitteln zwischen der Natur und den Leuten vor Ort, um ihnen näher zu bringen, welche Arten es im Naturschutzgebiet gibt und warum sie so schützenswert sind.“ (Um auch uns diese Arten näher zu bringen, werden sie uns in den kommenden Ausgaben immer wieder eine besondere Tier- oder Pflanzenart aus dem Kaisergebirge vorstellen.) Leider sind ihre Beobachtungen nicht so positiv, wie man meinen könnte oder zumindest wie ich geglaubt habe, wenn ich in der scheinbar unberührten Natur des Kaisergebirges unterwegs bin.
Franz erklärt: „Der Druck wird größer – wir haben uns kürzlich interessehalber angeschaut, wie das Worst-Case-Szenario in 60 Jahren aussehen würde. Dabei mussten wir feststellen, dass wir schon mittendrin sind.“ Zu dieser Schlussfolgerung führten ihn mehrere Faktoren. „Das Kaisergebirge kann man sich wie eine Insel vorstellen. Ändert sich das Klima, können die Arten nur nach oben hin ausweichen, da ,unten’ bereits alles besiedelt ist.“ Wird der Platz irgendwann zu eng, sterben bestimmte Arten aus. So findet man schon jetzt bestimmte Schmetterlings- und Froscharten gar nicht mehr beziehungsweise nur noch sehr selten.

Die Natur als Sportgerät

Dazu kommen der Sportboom und der steigende Druck der Bevölkerung, mit immer noch besseren Leistungen und noch besseren Fotos vor allem digital zu punkten. Philipp sagt: „Der Mensch gehört zur Natur und die Natur zum Menschen, das wird oftmals vergessen.“ Er äußert einen interessanten Gedanken, nämlich – dass das Naturschutzgebiet die Natur auch ein wenig vor uns schützen soll. Doch was bedeutet das nun konkret? „Es geht um die Summe der Einflüsse, die auf die Natur einprasselt. Die Tiere gewöhnen sich an viel frequentierte Wanderwege und weichen dementsprechend aus. Doch werden sie in ihrer Rückzugszone gestört, wirkt sich das in Stress aus.“ Philipp und Franz erklären, dass mit jeder Person, die die ausgeschilderten Wege verlässt, die allgemeine Hemmschwelle sinkt und nennen ein gutes Beispiel: „Viele Tiere fahren ihre Energiereserven im Winter runter, weil es ja dann weniger zu Fressen gibt. Das Schneehuhn gräbt sich beispielsweise ein und fährt seinen Stoffwechsel runter. Wird es von einem Skitourengeher aufgeschreckt, ist es nicht so schlimm, aber wenn das täglich mehrmals vorkommt, hat sie keine Chance um die Reserven, die der Stress verursacht hat, wieder aufzufüllen. In Folge muss das Huhn sein Nest zurücklassen und das Weite suchen.“ Dass die Leute dies nicht böse meinen, ist klar, aber dennoch passiert es leider.
Was kann man also tun, um sowohl die Natur genießen zu können als ihr auch wertschätzend entgegenzutreten? Die Antwort ist denkbar einfach: Auf ausgewiesenen Wegen bleiben, Müll mitnehmen, Hunde anleinen – und das Ego auch mal zurückschrauben. Ich selbst liebte es auch, mit der Stirnlampe abends durch den Wald zu joggen – aber das werde ich nun bleiben lassen. „Es geht um die Selbstverantwortung und der Schlüssel wäre, dass die Leute erkennen, dass der respektvolle Umgang mit der Natur auch ihnen zugutekommt. Auch die nächste Generation soll was davon haben,“ da sind sich Philipp und Franz einig.

Was veranlasst diese drei Personen, trotz so vielen weniger positiven Eindrücken nach wie vor im Umweltschutz tätig zu sein, frage ich Otto, Franz und Philipp abschließend. Franz fasst dies schön zusammen: „Wir sehen superschöne Sachen und dürfen uns mit vielen Dingen beschäftigen. Das größte Geschenk jedoch ist, mit offenen Augen durch die Welt gehen zu können und die kleinen Dinge wahrzunehmen, die die Welt ausmachen.“

Viktoria Defrancq-Klabischnig