Im Vorfeld der Info-Veranstaltung am 21. Oktober sprachen wir mit Bürgermeister Stefan Seiwald und Martin Mallaun, Sprecher der Bürgerinitiative „Freunde des Niederkaisers“.

„Ohne Unterbürg wird vieles nicht möglich sein.“

Bürgermeister Stefan Seiwald kommt ohne Umschweife auf die Zahl zu sprechen, die in den Medien kolportiert wird: „Zirka 15 Millionen Euro an Kommunalsteuer entgehen der Gemeinde, wenn Unterbürg nicht kommt“, sagt er mit Nachdruck. OK, man könnte jetzt sagen, dass man mit dem Geld ja wohl ohnehin nicht fix gerechnet habe. Oder? „Natürlich haben wir damit gerechnet. Die Kalkulation des geplanten „Haus der Generationen“ basiert auf den erwarteten Einnahmen“, erklärt Seiwald. Martin Reisinger, zuständig für die Gemeinde-Finanzen, werde bis zur Infoveranstaltung zwei Budgets erarbeiten: eines mit den Einnahmen aus dem Gewerbegebiet Unterbürg, eines ohne diese Einnahmen. „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir den Bau des Generationen-Hauses zurückstellen müssen, wenn Unterbürg nicht kommt“, so der Ortschef. Dass bestehende Betriebe abwandern müssen, weil sie an ihrem aktuellen Standort nicht erweitern können, sei noch gar nicht eingerechnet. Der Vertreter eines dieser Betriebe sei in der Vorwoche im Gemeindeamt vorstellig geworden – zum wiederholten Male. „Die Zuständigen werden langsam ungeduldig und brauchen eine Entscheidung, ob wir ihnen den nötigen Platz anbieten können oder nicht.“
Seiwald kann die Diskussion um das geplante Gewerbegebiet nicht nachvollziehen. „Das ist nichts, was wir uns in der Gemeinde einfach so ausgedacht haben. Seit zehn Jahren wissen wir, dass wir für das Gewerbe Platz schaffen müssen. Die Planungen wurden von Experten des Landes begleitet, Unterbürg wird von allen Seiten als geeigneter Standort befürwortet“, so Seiwald. Natürlich habe es Bedenken darüber gegeben, landwirtschaftliche Vorsorgefläche zu bebauen. „Allerdings machen die 7,32 Hektar, die Unterbürg umfasst, nicht einmal acht Promille der gesamten landwirtschaftlichen Vorsorgefläche St. Johanns aus – wir sind hier bestens aufgestellt.“ Auch ein Verlust an Biodiversität sei angesichts der derzeit intensiven Nutzung durch die Landwirtschaft wohl nicht zu befürchten. Hingegen seien die Vorteile des geplanten Projekts zwingend: Zum Beispiel könnten an Wohngebiete grenzende Betriebe endlich übersiedeln: „Die werden natürlich bevorzugt behandelt, auch um bestehende Konflikte in Bezug auf Lärm und Verkehr aus dem Weg zu räumen.“ Flächen, die man dadurch im Ort gewinnt, stehen ausschließlich für das Schaffen leistbaren Wohnraums zur Verfügung. „Das sagen wir nicht bloß so, das ist eine Auflage des Landes.“

Weniger Verkehr

Seiwald kann eine Befürchtung vieler St. Johanner:innen zerstreuen: Sollte Unterbürg kommen, wird der Verkehr in der Innsbrucker Straße nicht mehr, sondern weniger. Weil man den Straßenverlauf von der „Bacherkreuzung“ in Richtung Weitau mit entsprechendem Tempolimit durch das Gewerbegebiet führt. „Das wird für Durchfahrende unattraktiv.“
Ein weiteres Argument, das Seiwald immer wieder zu hören bekommt, ist, dass es genug brachliegende Gewerbeflächen in St. Johann gebe – man müsse sie nur nutzen. „Ich weiß beim besten Willen nicht, wo entwicklungsfähige Flächen zu finden sein sollen“, so der Bürgermeister. Es gebe einzelne, wie zum Beispiel das ehemalige Häntschel-Gelände. Aber darüber hinaus? Das Areal der „Klausner-Säge“ beispielsweise sei für Gewerbe völlig ungeeignet. „Dass wir LKWs mitten durch das Ortszentrum brettern lassen, kann sich wohl niemand wünschen“, meint er.
Er kann auch die Befürchtung entkräften, dass sich im neuen Gewerbegebiet Firmen mit großen Lagerhallen oder gar ein Müllumladeplatz ansiedeln würde. „Die Anfrage hat es wirklich gegeben, wir haben sie natürlich abgelehnt. Das Verhältnis zwischen Bodenbedarf und Mitarbeiterzahl ist festgelegt. So stellen wir sicher, dass Unterbürg letztendlich die erwünschten Einnahmen bringt“, erklärt Seiwald. Denn eines sei sicher: Das Geld müsse irgendwo her kommen in der Gemeinde, und es komme nun einmal von florierenden Betrieben. 150 Unternehmen stehen inzwischen auf der Interessenten-Liste, sie alle sind bereit, Wertschöpfung in St. Johann zu kreieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

„Wir denken nicht nur an die nächsten paar Jahre, sondern an die Zukunft. Wie soll die Gemeinde die steigenden Kosten für Pflege und Betreuung alter Menschen stemmen? Da kommt vieles auf uns zu. Wir brauchen Unterbürg.“

 

„Wir leben auf Kosten der Zukunft unserer Kinder.“

Martin Mallaun sagt, er sei eigentlich gar nicht der Typ für Ini­tiativen wie jene der „Freunde des Niederkaisers“, die sich für eine Volksbefragung zum geplanten Gewerbegebiet Unterbürg einsetzt. Und dennoch steht er hier an vorderster Front. „Weil dieses Projekt zu groß ist, als dass man über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entscheidet“, sagt er. Er habe vor Monaten die Landtagssitzung zum Thema Renaturierungsgesetz verfolgt, bei der es hieß, das Gesetz würde die Ernährungssicherheit gefährden – was nicht stimme. „Und drei Tage später liest man in den Medien, dass es grünes Licht gibt für ein riesengroßes Gewerbegebiet. Das passt nicht zusammen, da fühle ich mich als Bürger nicht ernstgenommen“, so der St. Johanner Musiker und Biologe. Er schrieb einen Brief an den Landeshauptmann und schickte ihn auch als Leserbrief an die Tiroler Tageszeitung; er wurde veröffentlicht und rüttelte offensichtlich viele Sainihånser:innen wach: „Es kamen sehr viele auf mich zu, wir setzten uns zusammen und beschlossen, uns für eine Volksbefragung einzusetzen“, erzählt Martin Mallaun. Dass so viele Menschen im Ort (1.400 Stimmen, Stand Anfang Oktober) aus allen politischen Lagern das Vorhaben unterstützen, überraschte den Organisator: „Ich habe mir früher immer gedacht, die St. Johanner Zivilgesellschaft sei schwach, man interessiert sich für kaum etwas. Und dann das!“ Es gebe den Wunsch nach Partizipation, das beweise die Aktion. „Die Leute gingen von Tür zu Tür, das ging herum wie ein Virus, ein schönes Zeichen. Alleine hätten wir das ja nie geschafft.“ Egal, wie die Initia­tive ausgehe: Dass sich so viele Leute gemeinsam für die Sache einsetzten, sei ein Erfolg.

„Wir leben von der Substanz.“

Der 49-Jährige, der sich seit 25 Jahren als Biologe mit dem Klimawandel beschäftigt, sieht durch das geplante Gewerbegebiet die Ernährungssicherheit gefährdet: „Wenn die Prognosen stimmen, wird die Landwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten weltweit unter Druck geraten; die Ernährungssouveränität wird ein Riesenthema werden“, weiß Mallaun. Österreich sei derzeit gerade noch souverän. Doch jeder Hektar, der wegkomme, bringe uns in ein Defizit. Deshalb fordere die Regierung seit Jahrzehnten, dass der Bodenverbrauch pro Tag nicht höher als 2,5 Hek­tar sein darf. „Tatsächlich sind es elf Hektar“, so Martin Mallaun. „Wir leben von der Substanz, wir leben von der Zukunft unserer Kinder“, sagt der dreifache Vater. Selbstverständlich brauche es die Wirtschaft, doch er sei dagegen, dass man eine so große Fläche von 11,5 Hektar verbaue. Ihm sei bewusst, dass Unterbürg bei aller Größe nur einen kleinen Teil der landwirtschaftlichen Rückhalteflächen ausmache. „Aber damit ist es wie bei einer Salami: Wir schneiden immer nur ein kleines Stück ab, und irgendwann ist sie weg.“ Es gebe in St. Johann Brachen, die man nützen könne; man solle sich intensiv nach Alternativen umsehen, so Martin Mallaun.

Schlüssige Argumente

Dass das geplante Gewerbegebiet so weit vom Ortskern entfernt liegt, ist ihm ebenfalls ein Dorn im Auge. „Da wird zusätzlicher Verkehr generiert, denn man weiß ja, dass die Leute wohl mit dem Auto zur Arbeit fahren werden.“
Skeptisch ist er auch bei den zu erwartenden Einnahmen durch 600 Arbeitsplätze, die in Unterbürg entstehen sollen. „Es werden auch Betriebe aus dem Ortszentrum in das Gewerbegebiet übersiedeln. Wie hoch sind die tatsächlichen Mehreinnahmen? Da hätte ich gerne konkrete Zahlen.“
Martin Mallaun bringt zudem die „Längenfelder Erklärung“ ins Spiel, die Alt-Landeshauptmann Herwig van Staa unterzeichnet hat. Sie besagt, dass bäuerliche Ensembles – also Hofstelle, Nebengebäude und die umgebende Landschaft – so oft verschwunden sind, dass man sie unter Schutz stellen muss. „Da geht es gar nicht ums Geld, das sind immaterielle Werte“, so Martin Mallaun. Was passiert mit dem Bauernhof Unterbürg? Dazu fehlen die Informationen.“
Was ihn weiters beunruhigt, ist die Versickerung: „Ich bin kein Hydrologe, aber was passiert mit dem Wasser, das sich bei Starkregen als Teich auf dem Feld sammelt?“

Sachliche Diskussion

Viele der 1.400 Leute, die die Initiative unterstützen, seien sehr emotional, wenn es um Unterbürg gehe, weiß Martin Mallaun. Er selbst betrachte die Situation sachlich. „Wenn wir das Gewerbegebiet aus guten Gründen nicht verhindern können, dann sieht man immerhin, dass die Bevölkerung umgedacht hat und dass „grüne Themen“ die Menschen bewegen.“ Er sei bei einer Raumordnungssitzung der Gemeinde dabeigewesen und habe erlebt, wie man dort um jeden Quadratmeter feilscht, der der Natur erhalten bleiben kann. Das passe nicht mit Unterbürg zusammen, da müsse man eine andere Lösung finden. Das Argument mit den fehlenden Einnahmen ist für ihn nicht schlüssig: „Ich bin 1975 geboren, in den Jahrzehnten ist der Ort enorm gewachsen, und mit ihm auch die Einnahmen. Und doch ist immer noch zu wenig Geld da. Wo geht das hin? In zwanzig Jahren brauchen wir dann ja wieder mehr, wann ist es genug?“ Martin Mallaun sagt, er sei kein Radikaler, sein Ziel sei es vor allem, dass man über das Projekt spreche und mehr Information fließe. Und das habe man erreicht.

Update zur Infoveranstaltung der Gemeinde am 21.10.2024

Viele St. Johannerinnen und St. Johanner nahmen die Möglichkeit war, sich bei der Veranstaltung im Kaisersaal näher über das Projekt Unterbürg zu informieren.Bürgermeister Stefan Seiwald räumte mit der Beantwortung der 15 am häufigsten gestellten Fragen gleich zu Beginn viele Bedenken aus. Die Diskussion mit den Experten aus der Gemeinde und vom Land Tirol war durchaus lebhaft, aber konstruktiv.
Es zeigte sich, wie wichtig es ist, die Hintergründe dieses Projekts zu beleuchten sowie den Weg aufzuzeigen, der zur Entscheidung für das Areal führte.

Doris Martinz