Sepp Ritter war 32 Jahre lang Oberschützenmeister der Sportschützen St. Johann. Eine Diagnose veränderte vieles …

78 Jahre alt sei er, antwortet er auf meine Frage. Ich kann es kaum glauben, ich hätte ihn deutlich jünger eingeschätzt. Das muss am Training liegen: Dreimal wöchentlich ist Sepp Ritter nach wie vor am Schießstand anzutreffen, zirka eine Stunde lang dauert die Übungseinheit. Zehn Minuten lang und mehr hält er dabei die Luft- oder Kleinkaliberpistole am ausgestreckten Arm in der Hand, ohne abzusetzen, um seine Schüsse auf der Zielscheibe zu platzieren. Dazu braucht es Kraft, Ausdauer und vor allem volle Konzentration. All das bringt Sepp Ritter nach wie vor mit. 2024 hat er mit der Mannschaft bei Landes- und Bundesmeisterschaften sogar noch fünf Medaillen eingeheimst. „Für Einzelbewerbe bin ich langsam zu alt, gegen die 70Jährigen hat man keine Chance mehr“, meint er nüchtern. „Man wird nicht besser.“ Je älter man werde, umso mehr müsse man trainieren, um das Niveau zu halten, erklärt er. Zum Training kommt fast jede Woche ein Wettkampf, das hält ihn fit.
Dabei hat er relativ spät, erst im Alter von zwanzig Jahren, mit dem Sportschießen angefangen – über einen Arbeitskollegen, der ein begeisterter Schütze war. Er wurde Mitglied des Vereins, dann zweiter und schließlich erster Schützenmeister, was in etwa der Position eines Vereinsobmanns entspricht, wie Sepp erklärt. 32 Jahre lang organisierte und managte er, widmete dem Verein viel Freizeit. Bis er, vor acht Jahren, beim Arzt eine Diagnose bekam, die vieles veränderte – es war Krebs, Prostata.
Er legte sein Amt zurück, unterzog sich der notwendigen Operation und Bestrahlungen und legte den Fokus danach auf seine Genesung. „Wenn du einmal eine Krebsdiagnose hast, dann wird alles anders“, sagt er heute. „Du weißt ja nicht, wie lange es noch geht.“ Ein Bekannter von ihm, der zum selben Zeitpunkt eine ähnliche Dia­gnose erhalten habe, sei inzwischen schon lange verstorben, erzählt er. „Das macht dich schon nachdenklich.“ Er habe in jener Zeit vieles hinterfragt, erzählt Sepp Ritter. „Man stellt fest, wie wertvoll das Leben ist und geht bewusster mit vielem um.“
Zum Glück habe es im Verein mit Klaus Ebermayer einen geeigneten Nachfolger gegeben. Letztes Jahr wurde Sepp Ritter von der Gemeinde für seine Verdienste­ als Oberschützenmeister mit dem Sportehrenzeichen ausgezeichnet.

Wie eine Familie

Sobald sich Sepp nach Diagnose und Therapie fit genug fühlte, nahm er wieder am Vereinsleben teil. Denn: „Wahrscheinlich bin ich ein bissl ein Vereinsmeier“, sagt er schalkhaft. Mehr denn je genießt er es heute, nach dem Training oder Wettkampf mit netten Leuten zusammenzusitzen und sich über alles Mögliche auszutauschen. Der Verein ist wie eine erweiterte Familie für ihn.
Sepp Ritter wuchs als Bauernbub im St. Johanner Ortsteil Reitham auf – in bescheidenen, einfachen Verhältnissen, aber frei von großen Sorgen und geborgen im Familien- und Freundeskreis. Er absolvierte eine Tischlerlehre. Den Weg in die Arbeit zur Firma Aufschnaiter, die damals noch in Kirchdorf angesiedelt war, meisterte er mit dem Fahrrad – im Sommer wie im Winter. Während der Lehrzeit half er samstags immer beim Bau der neuen Werkstatt in St. Johann mit. „Das war damals ganz normal und üblich.“ Später wechselte er in eine andere Tischlerei und wurde schließlich 25 Jahre lang Hausmeister im Bezirkskrankenhaus St. Johann. „Ein guter, abwechslungsreicher Arbeitsplatz“, so Sepp. Mit 60 Jahren ging er in Pension.
Langeweile kannte er nie. Gemeinsam mit seiner Frau Eva – er lernte sie bei Aufschnaiter kennen, wo sie als Sekretärin angestellt war – baute er ein Haus und legte einen großen Garten an. Der Wunsch nach eigenen Kindern blieb dem Paar zwar verwehrt, dafür bereisten die beiden die ganze Welt. Sie unternahmen unter anderem Rundreisen in Neuseeland, Argentinien, Australien, Südafrika, Mexiko, Amerika und besuchten Vietnam, Kambotscha, Indien, China, Bali und Tibet. Mit ihrem Wohnmobil reisten sie auch durch europäische Länder. Am beeindruckendsten war für Sepp Norwegen mit seinen Fjorden, den Lofoten, dem 1.000 Meter steil ins Meer abfallenden Prekestolen und der Sonne, die im Sommer nie untergeht.

Hanteltraining vor’m Fernseher

Die Reisen sind inzwischen weniger geworden. Ziele und Wünsche gäbe es schon noch, so Sepp, „aber es wird körperlich alles beschwerlicher.“ Eine Woche radeln sei aber noch drin, auch tausend Höhenmeter schaffen er und Eva mit dem E-Bike noch locker. Sepp hatte das Surfen während eines Gran Canaria-Urlaubs für sich entdeckt, weil ihm das Herumliegen am Strand zu langweilig geworden war. Eva machte dann in „Nuarach“ am Pillersee einen Kurs, dort gab es ein paar Jahre lang eine Surfschule. In der Folge zog es die beiden wegen des guten Windes oft an den Gardasee, der fast zur zweiten Heimat wurde. Auch das Wandern steht nach wie vor auf ihrem Programm.
„Als Schütze muss man sich fit halten“, meint Sepp. „Da wäre auch Hanteltraining g’recht.“ Sepp macht das auch – vorzugsweise beim Fernsehen.
Eva unterstützte Sepp immer im Verein, sie übernahm viele Schreibarbeiten. Nur selbst eine Waffe in die Hand nehmen, das wollte sie nie. Lieber widmete sie sich immer schon ihrem Garten. Sepp sät im Frühling aus, Eva übernimmt das Ernten von Salat, Kraut, Salat, Gurken und vielem mehr. „Wir sind Selbstversorger“, sagt Sepp, es schwingt etwas Stolz mit in seiner Stimme. Auf dem Handy zeigt er mir dann noch die Ergebnisse einer weiteren Leidenschaft: Er liebt es zu backen. Herrliche, aufwändig verzierte Torten präsentiert er mir, aber auch Germkiachl, Buchteln, Faschingskrapfen und wunderschöne Brotlaibe. „Nur das Klotzenbrot, das ist mir diesmal nicht so gelungen“, meint er selbstkritisch. „Innen war es sehr gut, aber das Blattl, die Hülle, mit der war ich nicht so glücklich“, so Sepp. Er nimmt es sportlich – beim nächsten Mal wird auch die Hülle perfekt gelingen, Training ist alles …
Doris Martinz