Der ehemalige St. Johanner Alpenvereins-Obmann Horst Eder kramt in seinen Erinnerungen und blättert in seinem Tourenbuch.
Der Mond und seine Überraschung
Es ist Freitag, der 25. August 1961, also doch schon ein paar Jährchen her, als ich abends mit unserem Osttiroler Bergfreund Erhard Seiwald zur Ackerlhütte aufsteige, geplant ist für Samstag eine Klettertour im Ostkaiser. Auf der Hütte ist nur ein Gast anwesend, ein guter Bekannter von uns, der Kompatscher Otto aus Kitzbühel. Netter Hoangascht, kleines Abendessen – wahrscheinlich eine Portion Schmalzfleisch aus der Dose oder eine Konserve Thunfisch mit Gemüse, beides damals sehr üblich – und dann wird’s zum Schlafengehen. Wir gehen noch einmal kurz vor die Hütte hinaus und sind überwältigt: heute ist Vollmond, und der strahlt in seiner ganzen Stärke. Die Wände, Grate und Zacken des Ostkaisers sind taghell ausgeleuchtet, ein überwältigender Anblick. Und da äußert Erhard einen Wunsch, als er sagt, dass er schon einmal gerne bei Vollmond klettern gehen würde. Und plötzlich heißt’s: „Gemma hoit!“ Otto ist zuerst noch nicht begeistert, aber als er merkt, dass es uns beiden ernst ist, ist er auch dabei. Wohin? Da macht Otto einen guten Vorschlag: den Südostgrat der Westlichen Hochgrubach, nicht schwer, nicht allzu lang und heute für uns herrlich ausgeleuchtet! Schnell zusammengepackt, es wird so gegen 23 Uhr gewesen sein, als wir von der Ackerlhütte abgehen. Eine gute Stunde später, zur Geisterstunde, sind wir beim Einstieg. Erhard geht voraus, und bereits bei der ersten Seillänge jubelt er; fester Fels, schöne Kletterei und der helle Mond als treuer Begleiter. Und eine Seillänge schöner als die andere! Doch etwas ändert sich, je weiter wir nach oben kommen: das zuvor so vielgelobte Mondlicht wird immer schwächer, weil der Mond immer kleiner wird. In der letzten Seillänge ist es dann „putzdunkel“! Und dann wissen wir’s: wir erleben heute eine Mondfinsternis. Keiner von uns hat in dieser Richtung etwas geahnt, die mediale Information bestand zu dieser Zeit ja praktisch nur aus Radio und Tagespresse und wir hatten da sicher ein Informations-Defizit. Am Montag lesen wir’s dann: totale Mondfinsternis um 3.08 Uhr. Und heute kann man sie im Internet schön nachlesen, die Mondfinsternis vom 25./26. August 1961: Magnitude 0,986, Bedeckungsgrad 99,7 %, Dauer der partiellen Phase 3 h 6 min., sichtbar von 37,06 % der Weltbevölkerung. Na also, jetzt wissen wir’s genau!
Für uns heißt es also, gut zwei Stunden warten, bis sich im Osten die Sonne langsam zeigt, wir begrüßen den neuen Tag mit ein paar frischen Bergliedern. In der Morgendämmerung steigen wir ab zum Schönwetterfensterl, und da lockt uns noch der Regalpturm mit seiner kurzen, schönen Nordost-Kante. Dann aber heißt’s endgültig abklettern und absteigen, schön langsam kommt Müdigkeit auf. Um etwa 9 Uhr sind wir bei der Ackerlhütte, wir legen uns aufs Lager und verschlafen einen schönen sonnigen Sommertag. Die Mondscheintour mit ihrer überraschenden Entwicklung freut uns heute noch!
Gipfelsammeln mit Jöchl Lois
Auch anfangs der 1960er-Jahre: wir sind am Weg zur Pflaumhütte, eine Gruppe der AV-Jugend. Von oben kommen uns zwei gute Bekannte entgegen: der Jöchl Lois und der Seiwald Erhard. Etwas stimmt nicht: der Lois hat einen Arm in der Schlinge. Was ist passiert? „Bremig is’s heit“ ist die knappe Antwort vom „Rotl-Buali“. Die beiden hatten die zweite Begehung der Mitterkaiser-Nordost-Verschneidung gemacht; die erste Begehung dieser markanten Tour hatte der Lois kurz zuvor mit Horst Schneider geklettert. Ziemlich weit oben ist dem Lois etwas ausgebrochen, beim Sturz ins Seil hat er sich den rechten Unterarm gebrochen. Das war’s also, das „Bremig-sein“. Ein paar Tage später spricht mich der Lois an, ob wir „a Trimme“ gehen könnten. Ich meine zuerst, er denkt vielleicht an die Goinger Halt, so mit dem Gipsarm; sein Vorschlag ist aber wesentlich konkreter: der Köpftörlgrat wäre auch schön und trotz Gipsarm machbar. Und so steigen wir anderntags von der Wochenbrunner Alm auf zum Kopftörl, wo der (laut Kaiserliteratur) längste und schönste Grat des Wilden Kaisers beginnt. Man übersteigt oder umgeht den einen und anderen Turm, macht also schon ein paar Gipfel, bis man nach ein paar Stunden auf des Kaisers höchster Warte, der Ellmauer Halt mit 2.344 m Höhe, angekommen ist. Wir genießen eine ausgiebige Rast, und plötzlich kommt der Lois mit einem Vorschlag: er deutet nach Norden, etwas tiefer steht da ein Gipfel: „Das wär’ die Gamshalt, auch ein Kaisergipfel.“ Warum nicht? Das Gelände ist nicht schwer, es geht seilfrei, und nach einer guten Stunde sind wir wieder auf der „Halt“. Jetzt aber flotter Abstieg! Und bei der Rot-Rinn-Scharte deutet der Lois wieder auf einen Gipfel: rechterseits, das wär’ der Kaiserkopf, eh’ nicht weit! Also gemma! Allerdings haben wir da hinauf dann viel lockeres Gestein, es heißt ordentlich aufpassen. So nebenbei meint der exzellente Kletterer Lois, dass ihm „obere Sechserstellen“ lieber sind. Stolz schreiben wir uns im Gipfelbuch ein, in dem alle Besteigungen seit 1895 eingetragen sind und trotzdem nur einige wenige Seiten ausgefüllt sind. Also ein rarer Kaisergipfel, und der letzte für heute. Kurz darauf genießen wir auf der Gruttenhütte einen Radler und erfahren so nebenbei, dass ein paar Leute unser Gipfelsammeln registriert haben.
Noch ein Wort zum Lois Jöchl: er war anfangs der 1960er-Jahre der Wegwart in der Alpenvereins-Sektion „Wilder Kaiser“ – und in seiner „Amtszeit“ wurde der Maiklsteig auf dem heutigen neuen Wegverlauf errichtet. Der ganzjährig sehr beliebte und stark frequentierte Anstieg auf den Niederkaiser ist also ein bleibendes Denkmal an den leider viel zu jung im Jahre 1983 verstorbenen „Rotl-Buali“.
Horst Eder