Oberarzt Dr. Rainer Hoyer hat im Mai den „Rescue Day“ am Krankenhaus St. Johann geleitet. Begonnen hat seine berufliche Laufbahn im Sattel eines Bikes.
Der große Dreadlocks-Knoten am Hinterkopf ist das erste, was ich von Dr. Hoyer sehe, als wir uns im Café Rainer zum Interview treffen. Seine Haartracht mag für einen Mediziner ungewöhnlich sein, doch man kann den 45-Jährigen nicht auf seinen Beruf reduzieren – das sollte sich während unseres Gesprächs bald herausstellen.
Dass Dr. Hoyer seit 2016 am Krankenhaus St. Johann als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin sowie als Notarzt tätig ist, ist im Prinzip einem Zufall geschuldet. Viele weitere entscheidende Wendungen in seinem Leben würden mit Zufällen zusammenhängen, berichtet er. Zufall oder Schicksal? „Das kann man sehen, wie man will“, sagt er und lächelt sein charmantes Jungenlächeln.
Nach Abschluss des Medizinstudiums im Jahr 2007 in Wien und Absolvierung des Turnus im KH Kitzbühel, KH Mittersill, Barmherzige Brüder Salzburg und an der Klinik Innsbruck will Dr. Hoyer auf jeden Fall (noch) ein „Bergdoktor“ werden. „Als praktischer Arzt zu den Bauern fahren und sich mit einer Steige Äpfel oder einem Stück Geselchtem entlohnen lassen, das hätte ich total nett gefunden “, erzählt er. Was ihn damals ebenfalls reizt, ist, als Notarzt im Einsatz zu sein. Als Turnusarzt am Krankenhaus Kitzbühel ist nämlich sein Blick durch das Fenster des Operationssaales immer wieder auf den Helikopter „C4“ gefallen, der im Winter einen medizinischen Notfall nach dem anderen anlieferte. „Einmal werde ich in so einem Hubschrauber als Notarzt mitfliegen“, schwört er sich damals. Als er gerade Turnusarzt am Psychiatrischen Krankenhaus Hall in Tirol ist, beschließt er, sich die notwendigen Kenntnisse über Beatmung und Intubation zusätzlich zum Notarzt-Diplom schnellstmöglich anzueignen. Auf den Tipp einer Kollegin hin schreibt er eines Sonntagabends eine E-Mail an Dr. Bruno Reitter, den damals frisch bestellten Primar für Anästhesie und Intensivmedizin am Krankenhaus St. Johann. Und was passiert? Schon fünf Minuten später kommt die Antwort mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch. „Und ich habe mir gedacht, was für ein cooler Typ, dass er an einem Sonntagabend gleich antwortet.“ Hoyers E-Mail kommt Dr. Reitter in jener Zeit gerade recht: Da das Krankenhaus Kitzbühel geschlossen worden ist, hat man den Standort des NEF (Notfall-Einsatzfahrzeug) an das Krankenhaus St. Johann verlegt, und Dr. Reitter braucht nun Unterstützung. Zum Vorstellungsgespräch erscheint Dr. Hoyer wenige Tage später im Sport-Outfit, direkt nachdem er am Vertical Up Rennen auf die „Streif“ teilgenommen und sich noch schnell ein wenig frisch gemacht hat. Trotz des unkonventionellen Aufzugs ist es „gegenseitige Sympathie auf den ersten Blick“, wie Dr. Hoyer lachend meint. Dr. Reitter bewegt den jungen Kollegen dazu, sich für die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin zu entscheiden. „Ohne Bruno wäre ich seit über zehn Jahren Bergdoktor.“ Die beiden Mediziner verbindet inzwischen ein enges freundschaftliches Verhältnis.
Ins Studium durch die Hintertür
Rainer Hoyer wird 1976 in Niederösterreich geboren, wächst zwischen dem Schneeberg und der Rax auf und beginnt nach abgelegter Matura das Studium der Sportwissenschaften mit Präventivmedizin in Wien. Er ist nämlich seit seinen Jugendjahren sehr sportlich und vor allem in den Ausdauersportarten wie Biken, Laufen und Langlaufen aktiv. Als er einmal bei seinem besten Freund, der Medizin studiert, im „Knochenkammerl“ vorbeischaut, passiert es: Er ist von der Anatomie des Menschen, vom Zusammenspiel der Knochen, Bänder und Sehnen dermaßen fasziniert, dass er beschließt, umzusatteln und ebenfalls Medizin zu studieren. Ins Studium kommt er sprichwörtlich durch die Hintertür: Man musste sich damals vor dem Institut für Praktikumsplätze anstellen. Wer zuerst da ist, bekommt einen Platz und kann das Studium beginnen. Viele BewerberInnen stellen sich deshalb bereits in den Nacht- und frühen Morgenstunden vor der Tür des Instituts an. Rainer Hoyer kennt das Gebäude, er ist ortskundig. Er nimmt die Hintertür, umgeht die Security und – schwups – ist er drin und bekommt sein Praktikum.
Die Eltern unterstützen ihren Sohn, doch Rainer Hoyer verdient während des Studiums mit Nebenjobs immer auch selber dazu. Er absolviert diverse Ausbildungen im Bereich der Massage und Körperarbeit, weil er den menschlichen Körper im wahrsten Sinne des Wortes auch „be-greifen“ will. Einige Jahre lang massiert er die Gäste im Hotel Intercontinental, unter ihnen zum Beispiel auch Hermann Maier. Insgesamt sind es über eintausend Massagen, die Hoyer vornimmt.
Für eine große Versicherung betreut er zudem „Gesundheitsstraßen“. Und auch als Fahrradkurier ist Hoyer jahrelang in Wien im Einsatz. Oft liefert er für Werbeagenturen Andrucke von A nach B. Für „Gucci“ im ersten Bezirk bringt er aber auch Hosen aus edlem Garn zum Kürzen in die Änderungsschneiderei. „An Spitzentagen bin ich bis zu 130 Kilometer gefahren“, erinnert sich Dr. Hoyer. Er ist natürlich bei jedem Wetter unterwegs: „Das Schlimmste ist, wenn in der Adventwoche die Temperaturen knapp über null Grad liegen und es den ganzen Tag regnet. Aber das ist die umsatzstärkste Zeit, und man weiß abends, was man heute körperlich und auch logistisch geleistet hat. Bis zu acht unterschiedliche Pakete oder Briefe liegen zugleich im Rucksack, und die Route des Auslieferns muss gut durchdacht sein.“
Nach Abschluss des Studiums ist Hoyer zwar Arzt, aber es ist kein Turnusplatz zu bekommen – er ist deshalb weiterhin als Fahrradkurier unterwegs. Und erhält damit seine gute Kondition, die er über Jahre aufgebaut hat. Wettkämpfe wie der „KitzAlpBike“ führen ihn in unsere Region. Die idealen Bedingungen für den Sport, die er hier findet, wecken den Wunsch zu bleiben: 2008 zieht er nach St. Johann. Er übernimmt zuerst eine Lehrtätigkeit an der UMIT in Hall in Tirol, bekommt dann eine Turnusstelle in Kitzbühel und nach den weiteren Stationen als Turnusarzt kommt er über die abendliche E-Mail ans KH St. Johann.
Vielseitig im Einsatz
2019 nimmt sich Dr. Hoyer eine Auszeit und reist mit seiner Familie – mit Lebensgefährtin Theresa Schügerl (Physiotherapeutin) und den beiden Töchtern, vier und acht Jahre alt – drei Monate lang mit dem Wohnwagen durch Europa. Auch, um die gemeinsame Zukunft weiter zu planen. Danach gründet Theresa Schügerl ihre Praxis „Beweggrund“ in St. Johann, in der auch Dr. Hoyer zu finden ist. Hier bietet er als Wahlarzt Akupunktur, manuelle Schmerztherapie und Leistungsdiagnostik für ambitionierte Ausdauersportler – wie er selber immer noch einer ist – an. Er ist vielseitig aufgestellt: Zur Tätigkeit als Anästhesist und Intensivmediziner, Notarzt und Wahlarzt ist er auch im Bereich des „Crew Ressource Management“ als medizinisch wissenschaftlicher Leiter des Simulationszentrums im Medicubus im Einsatz. Der Begriff „CRM“ kommt aus der Luftfahrt, spielt inzwischen aber auch in vielen anderen Bereichen – unter anderem in der Medizin – eine wichtige Rolle. Beim CRM im Rettungseinsatz geht es darum, die nicht-technischen Fertigkeiten zu schulen und verbessern, um Komplikationen aufgrund menschlichen Versagens vorzubeugen. Dabei geht es um Kooperation, situative Aufmerksamkeit, Führungsverhalten und Entscheidungsfindung sowie die zugehörige Kommunikation. Dr. Rainer Hoyer hat den viel beachteten „Rescue Day“ am Krankenhaus St. Johann im Mai ins Leben gerufen, gemeinsam mit einem Team organisiert und ihn persönlich geleitet. „Wir haben am Krankenhaus ein so tolles Simulationszentrum zur Verfügung, das muss man nützen und noch mehr draus machen“, so Hoyer. Er strebt eine Zertifizierung des Zentrums in den nächsten Jahren an.
Die Idee zum Rescue Day kam beim Sport. „Ich regle mein ganzes Leben während des Sports. Wenn ich langlaufen gehe oder mit dem Bike fahre, arbeite ich Probleme ab, komme ins Gleichgewicht und habe Ideen, das war schon immer so.“
Was sind Dr. Hoyers Pläne für die Zukunft? „Ich wünsche mir beruflich weiterhin Vielfalt“, meint er lächelnd. „Ich bringe Begeisterung für vieles auf, das muss nicht nur Medizinisches sein.“ Vorläufig jedoch wünscht er sich vor allem, dass „wir genug Leute im Krankenhaus sind und dass die Winter nicht schneeärmer werden.“ Mit einer verkürzten Langlaufsaison hätte Dr. Hoyer keine Freude. Die Faszination seines Berufs wird ihn vorläufig wohl noch im Job halten. Als Anästhesist begeistert es ihn täglich, wie schnell die verabreichten Medikamente wirken und Erfolg bringen. „Man setzt eine Spritze, und schon erhöht sich der Blutdruck oder die Narkose ist eingeleitet. Das ist unheimlich beeindruckend und bringt auch hohe Verantwortung mit sich.“ Und wer kann schon – wie Dr. Rainer Hoyer als Notarzt – in einem Moment im Stützpunkt die Flip-Flops gegen Bergschuhe tauschen, in den Helikopter springen und drei Minuten später am Ellmauer Tor ein Menschenleben retten? „Die Hubschraubereinsätze sind schon cool, das ist Adrenalin pur, das hat schon was. Aber es braucht auch Demut.“ Weil das so ist, will sich Dr. Hoyer mit Prognosen über den weiteren Verlauf seines Lebens nicht zu weit hinauslehnen. So manches Mal schon hat ein Zufall die Richtung vorgegeben. Oder war es doch Fügung? Das kann man sehen, wie man will.
Doris Martinz