Elisabeth Duller, Irmgard Silberberger und Peter Fischer über Lieblingsfiguren, Botanik und jährliche Überraschungen.
Schwer wiegt der eiserne Griff in der Hand, als ich die Tür zur Kirche St. Nikolaus in der Weitau öffne. Still ist es in ihrem Inneren, und ziemlich frisch. Gleich links beim Eingang ist der Schaukasten der Krippe aufgebaut, fast das ganze Jahr über versteckt er sich hinter den dichten, olivfarbenen Vorhängen. Auch als ich Ende November dort bin, ist es so. Ich schiebe den Stoff zur Seite, und in der Vitrine kommt eine leere orientalische Krippe zum Vorschein. Nur die Gebäude sind zu sehen und der Krippenberg vor der bemalten Rückwand. Aber man erkennt: Es ist schon etwas passiert. Elisabeth Duller hat schon die Scheiben der Vitrine geputzt, sie glänzen sauber, und die Begrünung vom letzten Jahr wurde entfernt. Still und dunkel liegt sie noch da, die Krippe, und doch ist da ein unsichtbares Leuchten der Erwartung, Verheißung …
Neue Figuren im Stil der bestehenden
Die Krippe, eine „Seisl-Krippe“, erbaut vor zirka 100 Jahren vom bekannten „Krippenvater“ Johann Seisl aus Wörgl, führte lange Jahre ein Schattendasein. Es war der langjährigen Mesnerin, Lisi Pichler, aber schon immer ein Anliegen, die Krippe mit neuem Leben zu füllen. Auf ihre Initiative hin beschloss man im Zuge der Jubiläumsfeierlichkeiten der Weitauer Kirche im Jahr 2012, die Krippe behutsam zu renovieren und ihren alten Glanz wieder aufleben zu lassen. Seitdem sind es immer die gleichen drei Leute, die sie am 23. oder 24. Dezember (je nachdem, wie die Wochentage fallen) aufbauen, mit aktuell zirka hundert Figuren bestücken und an Lichtmess jene herausnehmen, um sie – in Schachteln sicher verpackt und geschützt – bis zum nächsten Weihnachtsfest wieder im Museum St. Johann zu verwahren. Elisabeth Duller, Irmgard Silberberger (Obmannstellvertreterin des Museums- und Kulturvereins) und Peter Fischer (Geschäftsführer des Museums- und Kulturvereins und Kulturbeauftragter der Gemeinde St. Johann in Tirol) sind sozusagen die Hüter der Krippe, die Hüter eines ganz besonderen Schatzes.
Die drei mussten vor Jahren feststellen, dass viele der originalen Seisl-Figuren gestohlen worden waren. Dass es mehr und wunderschöne Figuren gab, weiß man aus Erzählungen, Fotos wurden nie angefertigt. Das Trio begab sich auf die Suche nach einem Schnitzer, der im Stil Seisls arbeitet – die neuen Figuren müssen ja zu den alten passen, schlicht und detailreich sein, die Gesichter fein und ausdrucksstark. Fündig wurde man in Axams beim bekannten Schnitzer und Bildhauer Wolfgang Falkner, der nun jedes Jahr eine oder zwei, manchmal auch mehr, neue Figuren liefert. Welche es sind, können auch Elisabeth, Irmgard und Peter nicht genau sagen: Sie haben beim Künstler zwar mehrere Wünsche deponiert, welche er erfüllt, liegt aber an ihm. „Das macht das Ganze sehr spannend“, verrät Elisabeth mit leuchtenden Augen. „Wir können es gar nicht erwarten, zu sehen, was heuer kommt.“ Ihre Lieblingsfigur ist der Kamelführer – er erinnert sie an die starken, stolzen Menschen, auf die sie im Oman gestoßen ist. Elisabeth und Irmgard haben vor Jahren gemeinsam eine Studienreise in den Oman unternommen. Nein, natürlich nicht nur, um echten Sand aus der Wüste für die orientalische Krippe mitzubringen. Aber dass sich die Gelegenheit geboten habe, sei schön, meint Irmgard verschmitzt. Sie bewundert den König mit dem goldgelben Umhang am meisten, während Peter sich für den Hirten erwärmt, der den Arm hebt, um seine Augen vor dem Glanz des Engels zu schützen, der vor ihm steht und von der Geburt des Heilands kündet.
Das Gemälde an der Krippenrückwand stammt von Franz Pernlochner III. aus Thaur. Alles ist so angelegt, dass die plastische Krippe nahtlos in das Gemälde übergeht. Beim flüchtigen Betrachten kann man gar nicht sagen, wo die Krippe aufhört und das Gemälde anfängt. Auf die richtige Perspektive hat man beim Krippenbau viel Wert gelegt und selbst die Figuren danach ausgerichtet: Figuren, die weiter vorne stehen, sind größer als jene im Hintergrund.
Viele Geschichten, und immer anders
Die Krippe erzählt natürlich die Weihnachtsgeschichte. Im Zentrum des Geschehens steht die Heilige Familie, am 5. oder 6. Jänner gesellen sich die Heiligen drei Könige mit ihren Begleitern dazu. Doch auch rund um die Kernthemen spielen sich viele Geschichten ab. Da gibt es Kamele und ein Pferd, das sich aufbäumt, eine Brunnenszene, es gibt disputierende Pharisäer, Engel, viele Hirten, noch mehr Schafe und weitere Figuren, die ihre ganz eigene Geschichte erzählen. Jedes Jahr tun sie es auf andere, neue Weise, denn Elisabeth, Irmgard und Peter arrangieren die Figuren jedes Jahr ein wenig anders. Dass das mit gar nicht wenig Aufwand verbunden ist, stellte Peter gleich beim ersten Mal fest. „Ich habe mir gedacht, da stellen wir die Figuren rein, und fertig. Aber da wusste ich noch nicht, mit welcher Akribie die beiden Damen ans Werk gehen.“ Akribisch und aufwändig gearbeitet wird für die Krippe schon lange vor der Weihnachtszeit – speziell im „botanischen Bereich“. Als Fachfrau weiß Irmgard natürlich, welche Pflanzen es braucht, um echtes orientalisches Ambiente zu schaffen. Ganz zufällig züchtet sie Säulenzypressen, die sie für die Ausstattung der Krippe braucht. Elisabeth sammelt im Sommer Gamsheide (auch Alpenazelee beziehungsweise im Dialekt „Hirschhoan“ genannt), die auf windgefegten Graten in hohen Lagen wächst. Sie schneidet mit der Schere Moos, trocknet es und zerkleinert es dann mit dem Mixer – das ist das frische Grün. Wenn sie es kurz vor Weihnachten in der Vitrine ausstreut, erweckt sie die Krippe damit zu neuem Leben. Dann wird jedes Jahr auch die Weihnachtsgeschichte wieder lebendig – „ein wunderbares, ganz besonderes, fast magisches Gefühl“, erzählt sie.
Krippe und Kunstschätze
Die Kirche St. Nikolaus wurde 1262 von den Rittern von Velben erbaut und gehörte zu einer Station für Pilger und Reisende, die auch einen großen Bauernhof, eine Ausspeisung sowie ein Spital umfasste (daher wird die Kirche umgangssprachlich oft auch noch als „Spitai“ bezeichnet). Das Gotteshaus wartet mit großen Kunstschätzen auf, zum Beispiel mit dem einzigen noch gut erhaltenen gotischen Fenster in ganz Tirol und der wahrscheinlich ältesten Kirchenglocke Österreichs.
Der Weitauer Pfarrer, Hans Kaufmann, hat sehr viel Freude damit, dass die Krippe nun so gepflegt ist, und dass sie bei der eingeschworenen Kirchengemeinde so viel Anklang findet.
Elisabeth Duller war Lehrerin. Wie es der Zufall will, zählten auch Irmgard und Peter zu ihren SchülerInnen. „Ich kann mich noch so gut daran innern, wie er hinten drin in der Klasse g’sessen ist“, sagt sie schmunzelnd über Peter. „Ja, das ist auch schon zwanzig Jahre her“, meint jener scherzend. Es sind wohl gute zwanzig Jahre …
Wenn die drei gemeinsam vor dem Heiligen Abend die Krippe herrichten, vergehen die Stunden wie im Flug. Schließlich muss jedes Schäfchen seinen Platz bekommen, jeder Hirte und jeder Engel. Und neue Figuren gibt es ja auch immer, die ganz besonders zur Geltung kommen sollen. Welche es wohl heuer sind? Am besten schaut ihr am 24. Dezember selber nach und sucht in der Krippe nach neuen Gesichtern. Solltet ihr zu Weihnachten keines finden, gesellt sich der Neuzugang bestimmt zu den Königen, die Anfang Jänner einziehen.
Das Aufstellen der Figuren ist für die drei HüterInnen der Krippe „das Weihnachtlichste überhaupt“. Ist die letzte Figur platziert, erfreuen sie sich an ihrem Werk und trinken den Tee aus, der sie während ihrer Beschäftigung wärmt. Und dann gehen sie nach Hause zu ihren Lieben – mit Weihnachten im Herzen und viel Dankbarkeit für ein Kleinod, das in seiner Lebendigkeit und Ausdruckskraft viele kleine und große Herzen höher schlagen lässt.
Doris Martinz