Sandra ist eine Frohnatur, Mag.a der Rechtswissenschaft, Musikerin und blind. Warum sie Trübsalblasen nicht im Repertoire hat und mehr.
Es duftet herrlich nach Punsch und Zimt, die kühle Luft kitzelt an den Wangen und die vielen fröhlichen Stimmen und Lacher zeugen von einer angenehmen Atmosphäre. Der St. Johanner Weihnachtsmarkt ist jedes Jahr ein Highlight der die Herzen berührt und wo jeder seine persönliche Sternstunde finden kann. Für viele ist dies der Moment, wenn Sandra Seiwald mit ihrer musikalischen Partnerin Gudrun Topf im Duo „Seiwald & Topf“ den Weihnachtsmarkt klangvoll eröffnet. Sandra kann das Leuchten in den Augen der Zuhörer:innen zwar nicht sehen, aber umso mehr spüren – der Spruch, man sieht nur mit dem Herzen gut, kommt nicht von ungefähr.
Eine Künstlerin im „Moment genießen“
Die St. Johannerin hat ihre Wahlheimat in Graz gefunden, daher halten wir unser Interview telefonisch ab. Sandra erzählt mir, wie es sie durch ihre Ausbildung zur IT-Technikerin in die Steirische Landeshauptstadt verschlug: „Ich gehörte zu den ersten in Österreich, die die Blindenschule für diesen Ausbildungszweig besuchte.“ Dort hat Sandra alles Nötige für den Beruf gelernt, unter anderem, wie man einen Computer komplett auseinander und dann wieder zusammenbaut. „Es war super interessant, aber ich habe meinen Brotberuf dann doch nicht darin gefunden, daher machte ich die Matura und studierte Rechtswissenschaften.“ Sandra ist mittlerweile als Juristin an der Uni Graz tätig, wo sie mit ihrem bemerkenswerten Einsatz und Fachwissen einen unabdingbaren Mehrwert sowohl an der Uni als auch in der Gesellschaft darstellt.
Den kreativen Ausgleich zu ihrem Beruf schafft sie mit der Musik, eine Leidenschaft, die sie schon von Kindesbeinen an begleitet: „Die Musik ist seitdem ich denken kann ein Teil von meinem Leben.“ Seitdem sie 2008 Gudrun Topf über die Blindenschule in Graz kennen gelernt hat, sind sie gemeinsam als Duo „Seiwald & Topf“ bei zahlreichen Veranstaltungen zu hören. Gudrun begleitet Sandra auf dem Klavier und bildet zu Sandras außergewöhnlicher Stimme die perfekte Harmonie. Denkt Sandra an ihre erste Bühne zurück schmunzelt sie, während sie erzählt, wie sie als Fünfjährige im Gasthof ihrer Eltern vor der Familie und den Stammgästen erste Liedchen gesungen hat. Eine Ausbildung in der Richtung hat sie bis auf ein paar wenige Gesangsstunden nie gemacht, sie folgte stets einfach ihrem Herzen zur eigenen Perfektion. Dass dies der richtige Weg war, bewies nicht zuletzt ihr Auftritt 2011 bei der ORF Castingshow „Die große Chance“ wo sie mit Gudrun tausende von Zuschauern sowie die Juroren Bernhard Paul, Sabine Kapfinger, Sido und Karina Sarkissova verzauberte und bis ins Halbfinale kam. Auf die Frage, ob sie ein bevorzugtes Genre hat antwortet sie fröhlich: „Ich liebe Herausforderungen und jeder Auftritt hat etwas ganz Besonderes.“ Der duftende Adventmarkt ist für sie ebenso reizvoll wie die einzigartige Stimmung in der Kirche zu den ganz besonderen Feierlichkeiten des Lebens wie Hochzeiten oder Taufen. Beerdigungen werden vom Duo Seiwald & Topf ebenso gefühlvoll musikalisch umrahmt, Sandra empfindet die Verantwortung, mit ihrer Stimme den Trauernden Trost zu spenden als sehr berührend. „Durch meine Stimme kann ich den Menschen etwas zurückgeben und helfen, damit sie mit einem besseren Gefühl nach Hause gehen als sie gekommen sind.“
Meine Welt ist nicht klein
Sandras Selbständigkeit und lebensbejahende Einstellung kommt nicht von ungefähr: von klein auf haben ihre Eltern darauf geachtet, sie aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht in Watte zu packen, sondern das Leben mit all seinen Ecken und Kanten erfahren zu dürfen. „Ich habe großes Glück, Eltern und Schwestern zu haben, die mir von Anfang an Sachen zutrauten. Sie haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin,“ so Sandra dankbar. Sie erzählt von ihrer Jugend, wie sie mit ihren Schwestern gemeinsam auf dem Rad herumflitzte und wie alle anderen auch Skifahren und Rodeln ging. Auf mein Erstaunen hin antwortet sie lachend: „Landete ich mal auf dem Boden, wurde kein großes Drama gemacht – immerhin verbrennt sich jeder mal die Hand an der Herdplatte oder schürft sich ein Knie auf –
das ist ganz normal und gehört zum Leben dazu.“ Mit St. Johann verbindet sie nach wie vor ein starkes Heimatgefühl, sie kennt noch heute alle Wanderwege, jede Piste und Kurve der einstigen Rodelbahn beim Gasthof Hirschberg, das einst ihre Eltern führten und mittlerweile von ihrer Schwester übernommen worden ist. Das gibt ihr die Sicherheit, sich frei bewegen zu können. „Meine Welt ist nicht klein, ich gehe noch heute liebend gerne Skifahren, Rodeln und Wandern.“
Sandra betont, wie wichtig es ist, dass man im generellen die Stärken der Menschen fördert, statt sich auf die Defizite zu konzentrieren. „Ich höre oft die Aussage, ich sei arm, weil ich nicht sehen kann. Darauf antworte ich, dass das auch positiv ist, denn ich muss mir nicht alles anschauen.“ Sandras Sensorik ist anders ausgeprägt als die unsere, ihr fallen viele Gerüche und Geräusche auf, die wir nicht oder nur kaum wahrnehmen können. Ihr Gehirn ist von klein auf darauf trainiert, sich ihre Umgebung einzuprägen, zum Beispiel wie viele Treppen in ein Gebäude führen, wie viele Schritte es bis zum nächsten Raum sind und vieles, vieles mehr. Neuen Menschen begegnet sie ganz unvoreingenommen, da sie nicht von Äußerlichkeiten abgelenkt wird, sondern viele andere Wesentlichkeiten wahrnimmt.
Die schönste Zeit im Jahr
Ein besonderer Tipp für wunderschöne, weihnachtliche Klänge ist Sandras selbst-
geschriebenes Lied „Weihnacht’n für mi“, auf dem Klavier von Gudrun begleitet (zu hören: www. Seiwald-Topf.at) Sandra singt darin ihre Botschaft für Weihnachten, nämlich dass dieses Gefühl der Liebe nicht nur am 24. Dezember spürbar ist, sondern in vielen kleinen und großen Momenten während des Jahres. „Für mich ist Weihnachten, wenn ich meine Familie, meine Nichten und meinen Neffen wiedertreffe, mit ihnen gemeinsam gemütlich zusammensitze, mich das erste Mal verliebe oder mich auf einer Hochzeit mit der Braut und dem Bräutigam mitfreue,“ sagt Sandra glücklich. Für jeden sind diese Momente etwas ganz individuelles, und das ist das Schöne daran – wichtig ist nur, dass man sich auch während des Jahres darauf besinnt. Von Sandra können wir uns auf jeden Fall eine dicke Scheibe abschneiden und wir wünschen ihr auch im kommenden Jahr von Herzen alles Gute bei all ihren weiteren Vorhaben und Plänen!
Viktoria Defrancq-Klabischnig