Die „Wein-Marie“ erzählt von sich, dem Besuch der Weinmesse in Düsseldorf, von aktuellen Weintrends und mehr.

Ich habe einen „Wein-Arm“, meint Marie-Christine Chiodo vielsagend. Was das bedeutet, verstehe ich, als sie den Ärmel ihres Shirts zurückzieht: Es kommen verschiedene Tattoos zum Vorschein – ein Weinfass, ein Korkenzieher, eine Dekantierkaraffe, Weinreben und mehr. Alles Weinmotive.
Marie hat aber nicht nur einen Wein-Arm, sondern auch ein großes Herz für Wein, deshalb kennt man sie in der ganzen Region als „Wein-Marie“. Ihr Reich ist der „Wohnraum“ in Ellmau mit Café und Vinothek.
Die 29-Jährige stammt ursprünglich aus Wien und besuchte in Niederösterreich eine Tourismusfachschule.
Hier lernte sie die Töchter und Söhne von Winzern kennen, zu denen sie auch nach der Schulzeit den Kontakt hielt. Auf den Höfen deren Eltern half sie bei der Lese und beim Ausschank aus. Die Wein-Welt wurde ihre Welt, und die Gastronomie gehörte dazu. Um Geld für eine Reise in das Weinland Südafrika zu verdienen, ging sie „auf Saison“ nach Tirol – und blieb ganz klassisch der Liebe wegen „hängen“. Marie und Vanessa heirateten im Herbst 2021.

Wein-Akademikerin

Nach diversen Stationen in der Gastronomie, bei denen Marie vom Frühstückslokal bis zur Bar alles ausprobierte, ist nun die Vinothek im „Wohnraum“ ihr liebstes Revier. Sie durfte die Räumlichkeiten 2021, als sie entstanden, ganz nach ihren eigenen Vorstellungen einrichten; hier kann sie ihre Leidenschaft für Wein nach Herzenslust aus­leben.
Als Gerhard Pohl, Eigentümer­ des „Wohnraums“ und zugleich auch von „P&G Immobilien“, sie zwei Jahre zuvor als „Gastro-Allrounderin“ eingestellt hatte, war sie bereits Diplom-Sommelière. Derzeit absolviert Marie die Ausbildung zur Wein-Akademikerin und verbringt dafür immer wieder Tage und Wochen im Burgenland. „Wenn man das macht, muss man schon ein bisschen ein ,Nerd‘ sein“, gesteht sie lachend. Es gebe quasi nichts über Wein, das man nicht wissen müsse – egal, ob es um Kellertechnik, Chemie oder Botanik gehe. „Am besten kennt man jede Reblaus persönlich beim Namen und weiß, wie man ihr zu Leibe rückt.“
Gerade steht auch die Blindverkostung-Prüfung an: „Man bekommt zwölf internationale Weine und muss sagen, woher jeder einzelne kommt, wie er gemacht wird und so weiter“, erklärt Marie.
Wie kann man so etwas lernen? „Üben, üben, üben“, meint sie. Und nicht alles trinken, sondern beim Probieren ausspucken …
Nächstes Jahr wird sie die Abschlussarbeit schreiben, das Thema steht schon fest: Frauen in der Weinwelt. „Zur Gleichstellung der Frauen gibt es noch viel Handlungsbedarf“, weiß Marie. Sie hat das selbst früher in der Gastronomie oft genug am eigenen Leib erlebt: „Eine Weinexpertin muss nicht selten mehr leisten als ihre männlichen Kollegen, damit sie respektiert wird.“
Als Wein-Akademikerin stehen ihr bald viele Möglichkeiten offen: Sie kann in Tourismusschulen unterrichten, bei Wein-Meisterschaften die Teilnehmer:innen coachen, Weinjournalistin oder -lektorin werden und vieles mehr. Und sie kann ihre Kundinnen und Kunden der „Wohnraum“-Vinothek noch besser beraten, als sie es bereits jetzt tut. Geht das überhaupt? „Klar, auch in der Weinwelt muss man sich stets weiterbilden.“
Die klassische „Gastro“ ist für Marie inzwischen weit weg gerückt. Es ist jetzt der Handel, der sie begeistert. „Da kann ich meine Kundschaft nicht nur für Stunden, sondern über Jahre begleiten“, schwärmt sie. Sie empfiehlt Einheimischen oder Urlauber:innen, die in der Region ein Appartement gemietet haben, gerne den passenden Wein zum Abendessen. Und berät und begleitet andere beim Bau und der „Befüllung“ ihres Weinkellers. „Manche meiner Kunden sehen Wein auch als Wertanlage. Ich kann ihnen sagen, welcher Rebensaft in ein paar Jahren an Wert gewinnen wird und welche Sorten zu den Raritäten zählen. Mein Job ist unheimlich facettenreich, das taugt mir.“

Auf der Weinmesse

Im März besuchte die „Wein-Marie“ gemeinsam mit Chef Gerhard und dessen Bruder Jochen die Weinmesse in Düsseldorf. 6.000 Aus­stel­ler:innen aus 61 Ländern boten dort ihre Schätze an. Das bedeutete „Vollgas verkosten“, erzählt die Weinexpertin. Sie starteten am ersten Tag mit deutschen Anbietern und arbeiteten sich dann in drei Tagen durch, bis alle 61 Länder besucht waren. „Überall probiert man und hört sich die Geschichten der Winzer:innen an.“ Dabei hätten sich alle Klischees, die man mit den Nationen verbindet, bestätigt, so Marie: Die Deutschen sprachen viel über die Technik beim Keltern, die Franzosen waren distanziert, die Italiener gesprächsfreudig, die Argentinier offenherzig, die Südafrikaner aufgeschlossen, die Chinesen höflich und bemüht, gefällige Tropfen für die Masse zu erzeugen. Und die Österreicher? „Die österreichischen Stände besuchten wir abends, und es war immer ein Nachhausekommen.“ Das Gesellige und Freundschaftliche habe sie begeistert, vor allem überzeugen aber auch die Weine. „Egal, was du während des Tages alles probiert hast, die Weine aus Österreich sind einfach genial!“ Mehr als die Hälfte des Weinschranks bei der Wein-Marie daheim ist daher mit österreichischen Tropfen gefüllt. Ihre heimischen Favoriten bei Rotwein sind der Blaufränkische von Silvia Heinrich und der St.Laurent vom Weingut Reinisch in Gumpoldskirchen. „Filigran, elegant, finessenreich, komplex, superschön, …“ ich kann die Adjektive, mit denen Marie ihre Lieblingsweine bedenkt, hier gar nicht alle wiedergeben, das würde den Rahmen sprengen.
Zu den Highlights der Messe zählten für Marie auch die Winzer in Südafrika, die auf neue Techniken setzen und sehr innovativ arbeiten. Auch Kalifornien beeindruckte sie mit „lässigen“ Weinen, „super elegant, präzise, feingliedrig, schön und super fruchtig“. Genau so sollen die Rebensäfte in unseren Tagen sein, genau das sei der Trend, so die „Wein-Marie“. „Man trinkt elegant und leichtfüßig und nicht mehr so voluminös, marmeladig und saftig.“ Man erwarte von modernen Weinen Feingliedrigkeit, mehr Säure und Spritzigkeit, so Marie, diesem Trend würden alle Länder folgen. „Total angesagt“ seien derzeit auch die Weine aus dem Burgund.
Als Ergebnis der Messe wird Marie in der Wohnraum-Vinothek beim Herkunftsland Südafrika aufstocken.

Rebellion im Glas

Welche Flasche öffnet die „Wein-Marie“ daheim, wenn es etwas zu Feiern gibt? Sie überlegt kurz und meint dann: „Das ist jetzt Wunschdenken, aber wenn der Preis keine Rolle spielt, dann ist es wohl ein Gaja aus dem Piemont, ein Barbaresco“, meint sie. Die Flasche koste 300,- Euro, „aber dieser Wein ist das wert!“ Sie habe den Winzer persönlich kennenlernen dürfen, erzählt sie. Seine Produkte sind für sie besonders: „Es gibt Weine, die dich auch emotional berühren, die lösen etwas aus beim Trinken, da passiert etwas im Körper. Bei Gaja ist es die Rebellion­ des Winzers, die Leidenschaft, das kompromisslose Qualitätsdenken, das einen beim Trinken erfüllt.“ Ich kann mir vorstellen, dass die Wein-Marie all das fühlt und erlebt beim Nippen am Glas – aber ob das bei mir auch funktioniert? Ich probiere es nicht aus, das sprengt mein Budget. Lieber nehme ich mir einen „grundehrlichen“ St. Laurent und einen „leichtfüßigen“ roten Muskateller mit nach Hause. Bevor wir uns gegen halb zehn Uhr am Vormittag verabschieden, verkoste ich noch schnell den Rum, den Marie im „Wohnraum“ ebenfalls anbietet. Im Nu fühle ich mich so leichtfüßig, wie es der Tropfen ist, den mir Marie empfohlen hat …

Doris Martinz