Alina Riedlsperger jettete früher als Sales Managerin durch die Welt. Nun hat sie ihr Glück im Montessori-Haus gefunden.
Wenn sie im Haus durch die Gänge geht, laufen ihr Kinder entgegen – manche drücken sich spontan an sie und umarmen sie. Sie sieht andere spielen oder konzentriert an einer Aufgabe arbeiten. Überall herrschen Bewegung und Leben. Und alles fühlt sich echt an – alles IST echt. Ein Zustand, der für Alina nicht selbstverständlich ist. Denn sie kommt beruflich aus einer ganz anderen Welt:
Die gebürtige Kirchdorferin studiert Betriebswirtschaft in Innsbruck und Barcelona. „Daheim ist mir alles eng und klein vorgekommen“, erinnert sie sich bei unserem Gespräch in ihrem Büro. Ihren ersten Job bei der Firma Egger gibt sie auf, um zurück nach Barcelona zu gehen und ihren Master zu machen. Später geht sie nach Berlin und heuert bei SAP an, einem Konzern, der weltweit zu den Marktführern im Bereich Unternehmenssoftware zählt. Sie betreut Großkunden – DAX-Unternehmen im gesamten deutschsprachigen Raum. Sie verhandelt mit Vorständen, arbeitet sehr hart, setzt sich als Frau in einer Männerdomäne durch und verdient gutes Geld. Sie ist erfolgreich. Doch sie will noch höher und weiter: Nach vier Jahren wechselt sie zum Mitbewerber nach München; London und Santa Monica in Kalifornien sind nun ihr Zuhause. Jahrelang lebt sie aus dem Koffer, führt ihr Team, erwirbt wichtige Kompetenzen. Der Preis dafür: Enormer Druck, denn sie muss „liefern“, die erwarteten Umsätze erreichen. Ein Privatleben gibt es kaum noch, die Arbeitskollegen sind ihre Freunde.
Sie geht auf „die 30“ zu, als sie ihren ehemaligen Studienkollegen wieder trifft und sich gestattet, zu den Gefühlen zu stehen, die sie immer schon für ihn hatte. Dasselbe trifft für ihn zu: Er hat sich im Bereich Medienrecht selbständig gemacht und in den letzten Jahren nur seiner beruflichen Karriere gewidmet. Jetzt sehnen sich beide danach, eine Familie zu gründen.
Alles ändert sich
2018 kommt ihr gemeinsamer Sohn zur Welt, sie beziehen ihr Haus in St. Johann. Und plötzlich steht alles Kopf: „Meine Werte, meine Weltanschauung, mein Konzept vom Leben hat sich geändert“, erzählt Alina lächelnd. Sie habe sich nicht vorstellen können, ihr Kind in Barcelona, Berlin oder München aufzuziehen. „Zum ersten Mal nach vielen Jahren habe ich die Heimat wieder geschätzt und dass mein Kind in Sicherheit und Freiheit aufwachsen kann.“
2020 kommt ihr Zweitgeborener zur Welt. Die Rückkehr in den Job ist zuerst noch ein Thema, aber bald muss sich Alina eingestehen, dass sich die zweifache Mutterschaft mit einem Fulltime-Job wie dem ihren nicht vereinbaren lässt – zumal auch ihr Mann viel reist. „Ich habe realisiert, dass das nicht mehr geht. Und vor allem, dass ich das nicht mehr will.“ Sie habe begriffen, so Alina, wie fremdgesteuert sie gewesen sei durch Kunden und Vorgesetzte, die viele ihrer Termine vorgaben. „Und dann findet möglicherweise in St. Johann das Laternenfest statt, und ich stehe auf einer Messe in Frankfurt und verkaufe Cloud Software für jemanden, der ohnehin schon reich ist und durch mich noch mehr Geld verdient. Ich wusste, das will ich nicht. Ich habe mich bewusst für meine Kinder entschieden.“ Früher habe sie immer gedacht, Kinder und Job würden sich unter einen Hut bringen lassen, wenn man nur will. „Mit Nannys wäre es auch gegangen, aber das wollte ich nicht“, sagt sie heute.
Eine neue Welt
Was Alina hingegen sehr wohl wollte, war ein sinnvoller Job, in dem sie ihren „Impact“, wie sie sagt – ihre Persönlichkeit und ihre Kompetenzen – einbringen konnte.
Als man im Montessori Verein einen Vorstand sucht, nimmt sie das Ehrenamt an – und ist begeistert: „Was immer man tut, man sieht sofort die Resultate, du bekommst umgehend ein Feedback. Du organisierst einen Eiswagen zum Schulabschluss? Dann leuchten die Kinderaugen, die Eltern sind glücklich, und du mit ihnen. Keine Cloud der Welt kann dir dieses Gefühl geben.“
Die Buben sind jetzt vier und fünf Jahre alt, beide besuchen den Montessori Kindergarten. Seit gut einem Jahr ist ihre Mutter Geschäftsführerin. Sie habe ziemlich viel umgestellt, erzählt die 38-Jährige schmunzelnd. Sie denkt sehr betriebswirtschaftlich – in dieser Ausprägung ein Novum bei Montessori Kitzbühel. Für das Team bedeutete das eine Umstellung, für Alina selbst auch: „Mit Frauen muss man anders kommunizieren, das bedeutete einen Lernprozess für mich.“ Nach wie vor stehe aber natürlich das Wohl der Kinder im Vordergrund, betont Alina.
Neugierde als Motivation
Warum haben sich Alina und ihr Mann für Montessori entschieden? „Ich selbst hatte keine Freude an der Schule und habe nie gewusst, wofür ich lerne“, erzählt Alina. Erst bei einer Gruppenarbeit während des Studiums sei ihr das bewusst geworden. „Ich will, dass meine Kinder von Anfang an wissen, was sie mit ihrem Wissen erreichen, dass sie damit ihre Ziele und Träume im Leben realisieren können.“ Selbständigkeit, eigenständiges Denken und individuelle Betreuung seien ihr wichtig, so Alina. All das finde sie bei Montessori.
Sie arbeite daran, Irrmeinungen klarzustellen, so Alina. Beispielsweise die Behauptung, dass die Kinder nach vier Jahren Volksschule nicht schreiben können: „In den letzten Jahrzehnten haben unsere Kinder bewiesen, dass sie alles können. Es gibt auch bei uns einen zeitlichen Rahmen, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es mehr Spielraum als in den Regelschulen. Wir setzen auf Neugierde als größte Motivation“, erklärt Alina.
Will sie vielleicht irgendwann zurück in ihren alten Job? „Nein, ich kann mir nicht vorstellen, jemals zurück in ein Unternehmen zu gehen“, antwortet Alina. Sie genieße es, Teil eines wunderbaren Teams zu sein. Die Arbeit mit Kindern, das echte Leben, mache um so viel mehr Sinn als das Verkaufen von abstrakten Produkten: „Ich kann hier Zukunft gestalten, die Gesellschaft mitformen.“ Und sie kann Kinder umarmen, die im Gang spontan auf sie zulaufen. Wer braucht schon eine Cloud?
Doris Martinz