Johanna Rothbacher ist seit mehr als 50 Jahren Mitglied des Alpenvereines St. Johann.
Über die „Faszination Berg“ und mehr.
September ist’s, die Tage werden kürzer, schon bald werden die Laubbäume ein leuchtend buntes Blätterkleid tragen. Jetzt kommt die schönste Zeit zum Wandern. Eine, die das ganze Jahr über ihre Wanderschuhe nie wegräumt, ist Johanna Rothbacher. Seit vielen Jahren ist die 73-jährige St. Johannerin als Jugendbetreuerin beim Alpenverein im Einsatz. Sie hat unzählige Touren mit Kindern und Jugendlichen unternommen und viele Male beispielsweise auch das Zeltlager in Heiligenblut begleitet. Sie selbst ist in ihren ersten zwanzig Lebensjahren kaum in den Bergen unterwegs, Johanna ist nämlich ein Stadtkind, geboren und aufgewachsen in Wien. Doch schon bei einem Schulausflug nach Salzburg denkt sie bei sich, wie schön es doch wäre, in den Bergen zu leben. Nach Abschluss der Pflegeschule in Wien besucht Johanna eine Freundin in Kirchberg und erkundet dort auf eigene Faust die Almen und Gipfel. Und wie das Leben so spielt: „Ich bin der Berge wegen gekommen und der Liebe wegen geblieben“, erzählt sie mit einem spitzbübischen Lächeln.
Sie heiratet ihren Franz und übersiedelt mit ihm ins eigene Zuhause in St. Johann. Das Paar bekommt zwei Kinder, Johanna junior und Hans Peter. Während es Franz auf den Fußballplatz zieht, erkundet Johanna – sofern es ihr als junge Mutter möglich ist – die Bergwelt. „Es hat lange gebraucht, bis ich kapiert habe, dass es Leute gibt, denen das Berggehen nichts gibt“, sagt sie schmunzelnd. Johanna junior jedoch teilt schon früh die Begeisterung ihrer Mutter und schließt sich ebenfalls dem Alpenverein an. Mama Johanna (inzwischen seit über 50 Jahren Vereinsmitglied) geht bei ihren Touren zuerst als Begleitung mit und absolviert später die Ausbildungen zur Jugendbetreuerin. Das Schöne daran? „Die Jugend hält mich jung!“
Kleine Wunder entlang des Wegs
Ihre Wanderungen mit den Kindern richtet Johanna nach deren Alter aus – die kleinen haben natürlich andere Bedürfnisse als die größeren. „Es gibt Zwölfjährige, die einen Kaisergipfel erklimmen wollen oder am besten gleich einen Dreitausender“, erzählt sie. Für beispielsweise Fünfjährige ist das natürlich kein Thema. Bei den Kleinen sei nicht das Ziel das Ziel, sondern das, was sich auf dem Weg dorthin alles auftut. Für sie ist die Natur Spielplatz und Forschungsraum. „Da bietet es sich vielleicht einmal an, einen Bach aufzustauen oder aus einem großen Huflattich-Blatt einen Sonnenhut zu machen. Wenn man an Moosbeeren vorbeikommt, dann sind die Moosbeeren das Wichtige.“ Die Kleinen entdecken bei den Wanderungen viel Spannendes, man müsse ihnen nur Zeit und Raum dafür lassen, so Johanna.
Sie genieße es, bei diesen Gelegenheiten die Welt selbst immer wieder mit Kinderaugen zu betrachten und sich überraschen zu lassen, welch kleine Wunder sich unterwegs auftun.
Johanna erinnert sich an viele wunderbare und lustige Begebenheiten mit ihren jungen Schützlingen. „Einmal hat mir eine Hüttenwirtin in der Früh erzählt, dass die Kinder in der Nacht bis in die Morgenstunden keine Ruhe geben hätten. Ich habe mitten unter ihnen geschlafen und davon nichts mitbekommen.“ Johanna lacht herzlich.
Wenn der Kaiser schrumpft
Bestimmt hat Johanna im Laufe ihres Lebens – insgesamt gesehen – unzählige Touren unternommen und eine schwindelerregende Anzahl an Höhenmeter bewältigt? „Nein, ich glaube nicht, dass ich so viele Touren gegangen bin. Vielleicht deshalb, weil ich die Wanderungen nicht aufgeschrieben habe“, wehrt sie bescheiden ab. Sie hat übrigens keine Lieblingsplätze oder -berge.
Hauptsache, raus in die Natur, rauf auf den Berg. „Das Schöne, wenn man den Gipfel erreicht, ist, dass man damit auch ein Ziel erreicht hat“, sagt sie. „Beim Berggehen ist alles Andere unwichtig, man ist ganz im Hier und Jetzt. Der Alltag und die Sorgen, die bleiben im Tal“, fügt sie hinzu. Oben angelangt, werden „die Berge eingeteilt“, sagt Johanna – sie benennt die Gipfel ringsum. Mittlerweile kennt sie natürlich in der Region die wichtigsten Erhebungen. Und wenn es früher weiter hinten, am Horizont, einen Berg gab, den sie noch nicht kannte, dann war das oft das nächste Ziel.
Gelegentlich, so Johanna, habe sie schon ein wenig „aussigegrast“, sie habe mit der Alpenverein-Sektion nicht wenige Ausflüge unternommen, zum Beispiel in den Dolomiten, im Karwendel und in den karnischen Alpen. Viele unvergesslich schöne Eindrücke nahm sie mit nach Hause. In Erinnerung bleibt ihr auch der erste Blick vom Großglockner in Richtung St. Johann. „Da war ich ganz enttäuscht. Denn der Wilde Kaiser, vor meiner Haustür so stolz und mächtig, sah vom Großglockner so klein und unscheinbar aus.“ Dreimal hat sie den höchsten Berg Österreichs bestiegen, einmal davon mit ihrer Enkelin.
Das Wandern verbindet
Johanna liebt das Wandern. Sie habe nur ein einziges Problem damit, meint sie scherzhaft: „Es gibt so vieles, das mich interessiert, die Berge sind bei weitem nicht alles.“ So hat die ehemalige Krankenschwester einige Interessen unter einen Hut zu bringen. Wenn sie das Fernweh packt, unternimmt sie auch gerne Städtetrips und unternimmt Sightseeing-Touren zum Beispiel in Florenz und in vielen anderen Citys nah und fern. Aber sie kehrt immer wieder gerne nach St. Johann zurück, in den Ort, der längst ihre Heimat geworden ist.
Die Region ist das Zuhause ihrer Familie, hier hat sie im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gute Bergkameradinnen und Bergkameraden gefunden. Sich gemeinsam auf den Weg zu machen und oben die Welt aus der Vogelperspektive zu erleben, verbindet. So viele schöne Momente hat sie auch mit einer Kameradin geteilt, die mittlerweile verstorben ist. „So ist das Leben nun einmal, Freud und Leid liegen immer eng beinander“, sagt Johanna nachdenklich.
Ihr selbst steht nach unserem Gespräch Ende Juni eine nicht ganz so angenehme Zeit bevor: Sie muss sich einer Knie-Operation unterziehen. Wenn alles gut geht, will sie aber so bald wie möglich wieder zu kleineren Touren aufbrechen. Denn jetzt, im Herbst, wenn die Luft klar und die Fernsicht so gut ist, hält es den Bergfex nicht daheim …
Doris Martinz